Sonntag, 15. Januar 2023
Aufbruch ins All -76
Es dauert eine Sekunde, dann baut sich der Bildschirm auf und zeigt mir den Bericht eines Geschehnisses vor über hundert Jahren, untermalt mit einigen Bildern. Ich lese dort mit Spannung:

2605 hat die Space Ressource Corporation damit begonnen die Produktionsplattformen in der Venusatmosphäre aufzukaufen, um in der Produktion von Raketentreibstoffen zum Monopolisten zu werden. Diese Plattformen werden von einer venusischen Firma betrieben und gewartet. Volle Tanks mit Raketentreibstoff werden dann in eine höherliegende Umlaufbahn geschossen und von dem dort wartenden Tanker eingefangen. Dazu muss es eine kaufmännische Vereinbarung geben, damit die venusische Firma möglicherweise fehlende Zahlungen einklagen kann.

Nun hat die Space Ressource Corporation 33 Prozent dieser Firma erworben und erreicht, dass die Hälfte des Direktoriums aus ihren Managern besteht. Als nun die Treibstofflieferungen an unsere Lunar Ship Systems ausbleiben und nach einiger Zeit eine Wiederaufnahme der Lieferung zu doppelten Konditionen angeboten wurden, hat die Lunar Ship Systems um Verhandlungen gebeten.

Die Space Ressource Corporation hat zugestimmt, dass von unsererseits Chisei Liam O'Ceallaigh aus der irischen Region Europas die Verhandlungen führen soll. Es wurde jedoch zur Auflage gemacht, dass er allein kommt und der Verhandlungsort auf Ceres liegen soll. Diesen Kleinplaneten im Asteroidengürtel beutet die Space Ressource Corporation seit etwa 500 Jahren aus. Er ist eigentlich kein neutraler Ort.

Chisei Liam O'Ceallaigh nimmt ein handelsübliches Raumschiff mit Ionen-Antrieb und fliegt das Schiff als Pilot. In seinen Schlafphasen übernimmt die Raumkontrolle der Lunar Ship Systems die Fernsteuerung. Die Flugzeit hat vier Jahre gedauert. Dabei hat das Ionentriebwerk zwei Jahre kontinuierlich beschleunigt und nach einem Wendemanöver weitere zwei Jahre kontinuierlich gebremst. Unsere Raumkontrolle auf dem Mond ist ständig mit den wichtigen Installationen des Raumschiffes und dem Piloten in seinen Wachphasen in Kontakt. Sie kennt daher in jedem Augenblick den Zustand an Bord, auch wenn man die Verzögerung durch die Laufzeit der Funkwellen in Betracht zieht.

Laut Chisei Liam O'Ceallaigh hat er bei der Annäherung an Ceres eine starke Präsenz der negativen Seite von Reiki verspürt. Also hat er Vorbereitungen für den Fall getroffen, dass er auf Ceres sterben sollte. Er ist in Meditation versunken und hat die Automatik des Raumschiffes die Landung und Verankerung durchführen lassen. Dann ist er in seinen Raumanzug gestiegen und mit seinem Jetpack auf die Schleuse der dortigen Station zugeflogen.

Man hat ihn eingelassen und in einen Raum geführt, wo man ihn lange warten gelassen hat. Sicher hat man damit seine psychische Belastbarkeit testen wollen. Der Chisei hat sich auf den Boden gesetzt und begonnen zu meditieren. Dabei hat er erkannt, dass er in einer Falle steckt. Sein Raumschiff wurde geentert und durchsucht. Anschließend zeigt sich ihm sein Verhandlungspartner von der Space Ressource Corporation in Sportkleidung mit einem Degen in der Hand. Der Gegner hat einige Gewichte am Gürtel, so dass ihm die geringe Schwerkraft von nur drei Prozent der Irdischen nichts ausmacht.

"Ah, hallo, Mister O'Ceallaigh. Freut mich, sie zu sehen. Sie kennen sicher unsere 'aggressive Negotiations' -aggressive Verhandlungen-. Ich will Ihnen eine Chance geben: Schälen Sie sich aus ihrem Raumanzug, um genauso gekleidet zu sein, wie ich. Sie erhalten ebenfalls einen Degen und dann fechten wir unser Problem aus."

"Sie sind in der stärkeren Position, Mister Da Silva. Okay, fechten wir unser Problem aus," antwortet ihm der Chisei und beginnt, sich des Raumanzuges zu entledigen.

Als er in der Unterkleidung aus Shorts und T-Shirt vor dem Mitglied des Direktoriums der Space Ressource Corporation steht, wirft dieser ihm einen Degen zu. Der Chisei fängt ihn auf und nun entspannt sich ein kurzer Fechtkampf, der regelkonform beginnt. Aber das ist wohl nur das erste gegenseitige Abtasten gewesen.

Bald nimmt die Geschwindigkeit des Fechtkampfes zu. Chisei O'Ceallaigh kann eine Blessur anbringen. Nun mischt der Gegner seinen Fechtkampf mit Elementen aus dem Capoeira. Der Chisei kontert mit dem Einbinden von Ju-Jutsu-Techniken, lässt sich aber immer mehr in eine Ecke des Raumes drängen. Der Gegner will die Vernichtung des Chisei. Eine andere Option gibt es nicht. Also lässt sich der Chisei bei der Touchierung seiner Brust in den feindlichen Degen fallen.

Mister Da Silva lacht auf und bekennt keuchend:
"Schade, ich dachte, ich könnte Euch noch das Fechten lehren!"

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Donnerstag, 12. Januar 2023
Aufbruch ins All -75
"Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass solch ein Archiv ein Gewinn für alle ist," meint Maître Myers.

Ich nicke und beschreibe nun unsere Gegenwart:
"In jüngster Zeit haben wir begonnen, unser Sonnensystem zu erkunden. Die Erkenntnisse erhalte ich über Funk, um sie im Archiv abzulegen. Die dazugehörigen Proben bringen unsere Leute zur Space Geological Corporation, wo man sie in speziellen hochreinen Labors noch näher untersucht. Die dafür nötigen Raumschiffe stellt uns die Lunar Ship Systems in Zusammenarbeit mit dem Yamamoto Design Collective und den Warp Research Laboratories zur Verfügung. Dazu dürfen unsere Expeditionen mit Prototypen fliegen, die von Zeit zu Zeit durchgecheckt werden. So fliegen unsere Männer einerseits immer die neueste Technik, während die Firma ihre Fertigung für die nächste Generation Raumschiffe optimieren kann. Das Yamamoto Design Collective entwickelt zurzeit außerdem auch noch eine Künstliche Intelligenz, die alle Systeme an Bord miteinander vernetzt und über eine Sprachsteuerung mit der Besatzung interagiert."

"Oh, das ist interessant," meldet sich Maître Myers wieder zu Wort. "Die KI fliegt das Raumschiff, ohne dass ein Pilot in der Kommandokanzel sitzt?"

"Ja," antworte ich. "Im neuesten Prototyp gibt es zwar noch eine Kommandokanzel, für den Fall, dass die künstliche Intelligenz einmal ausfällt. Aber grundsätzlich brauchen Sie nur noch Befehle erteilen, die das Raumschiff dann ausführt. Dazu brauchen sie noch nicht einmal in der Kommandokanzel zu sein. Die KI lernt sie kennen und reagiert selbst dann, wenn sie gerade auf der Toilette sitzen würden. Es ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber vergleichen Sie den Prototyp mit einem lebenden Organismus, in dem die Raumfahrer wie Darmmikroben mitfliegen."

Bei letzterem Vergleich lachen beide Männer auf. Sie werden sich sicher unwohl fühlen, im Inneren eines Riesenroboters, ohne wirklich direkte Kontrolle über sein Flugverhalten. Aber auch ihre Reaktionen im Laufe des Fluges sind von Interesse für das Yamamoto Design Collective.

"Natürlich verkauft die Lunar Ship Systems auch Raumschiffe an jeden interessierten Käufer," erkläre ich nun. "Selbst die Space Ressource Corporation gehört zu ihren Kunden. Allerdings hält sich die Lunar Ship Systems dabei an den Stand der Technik ihrer Konkurrenten, dem wir durch die Warp Research Laboratories und das Yamamoto Design Collective um viele Jahrzehnte in der Entwicklung voraus sind."

"Ich dachte schon," meint Maître Myers.

Lächelnd den Kopf schüttelnd, antworte ich:
"Unser Prinzip ist die Gelassenheit. Jeder hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Natürlich kennen wir die Philosophie der Space Ressource Corporation. Daher erhalten sie nur Raumschiffe, die sie auch überall sonst kaufen können. Die neueste Technik halten wir ihnen vor!"

Maître Myers schaut verstohlen auf seine Armbanduhr. Ich verstehe den 'Wink mit dem Zaunpfahl', erhebe mich und sage lächelnd:

"Es ist heute schon ziemlich spät. Sie haben eine lange Reise hinter sich und ich habe Sie mit einer Menge Informationen versorgt. Schlafen Sie erst einmal ausgiebig, meine Herren! Gute Nacht!"

Sie verbeugen sich leicht und streben dem Ausgang des Archivs zu.

*

Nachdem wir das Archiv verlassen haben, fahren wir auf die Ebene, wo unsere Unterkünfte liegen. Vor unseren Zimmertüren verabschieden wir uns voneinander und gehen ins Bett. Ich, Florian, kann einfach nicht einschlafen. Die Informationen der Meisterin, obwohl sie nur Beispiele gebracht und die vergangenen 700 Jahre nicht voll vor uns ausgebreitet hat, sind doch etwas viel gewesen. Andererseits...

Dieses Negaigoto Nikki -'Tagebuch der Wünsche'- geht mir nicht aus dem Kopf. Also nehme ich mein Tablet und versuche mich ins Archiv einzuloggen. Nach einer verzwickten Sicherheitsabfrage klappt es. Ich stelle eine Frage an das System:

"Ist in den letzten 700 Jahren ein Chisei bei Erfüllung seines Auftrages ums Leben gekommen?"

Ich weiß auch nicht, warum ich dem Archiv ausgerechnet diese Frage stelle. Sicher ist es meinem bevorstehenden Auftrag geschuldet. Ich fühle ja selbst eine gewisse Unruhe in mir aufsteigen.

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Montag, 9. Januar 2023
Aufbruch ins All -74
"Das ist sicher hochinteressant," meint Maître Myers.
"Aber wo gibt es heute noch diese Probleme, die vor 700 Jahren noch bestanden?"

"Hm," brumme ich. "Die irdische Industrie ist in den vergangenen Jahrhunderten in ihrer Moral nicht besser geworden. Unter allen Firmen, die die Gewinnmaximierung als Unternehmensziel gewählt haben, sticht die Space Ressource Corporation besonders hervor. Aber es gibt genug andere, die ihre Umwelt nach dem Motto ausbeuten 'Nach uns die Sintflut', Hauptsache, sie haben ihren Gewinn auf Kosten der Menschen erhöht!
Wir haben in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder geschaut, was die Menschheit von den Indigenen lernen kann. Unsere Sponsorfirma Biontech Industries Ltd. hat vom Archiv die Speisepläne der Indigenen erhalten und sie schauen, wie man daraus Nahrungsmittel für die Milliarden Menschen auf der Erde herstellen kann. Sie erforschen aber auch die biologischen Bestandteile der Pflanzen, mit denen die Indigenen tagtäglich umgehen, ob sich daraus Medikamente und Kosmetika herstellen lassen. Dazu wird auch erforscht, ob sich die Pflanzen mittels Vertical Farming kultivieren lassen, um die Indigenen in ihrem Lebensraum nicht zu stören. Für die Herstellung der Medikamente und Kosmetika vergibt unsere Earth Pharmaceutical Company weltweit Lizenzen."

Maître Myers Schüler hat die ganze Zeit zugehört. Nun fasst er das Gehörte kurz zusammen und stellt fest:

"Die Aktivitäten unserer Chisei nehmen Partei für die Menschen, die sich nicht wehren können und die Aktivitäten unserer Sponsorfirmen übersetzen das Wissen uralter Gesellschaften in moderner Art zum Wohl der heutigen Menschen."

Ich habe ihn lächelnd reden lassen. Er hat den Sinn unseres Archivs erfasst. Wir haben uns längst an einen Tisch gesetzt und jeder ein Glas Tee vor sich stehen. Zum Stichwort 'Sponsorfirmen' berichte ich den beiden Männern nun:

"Neben der Biontech Industries Ltd. haben in den vergangenen Jahrhunderten weitere Stipendiaten Firmen gegründet, die allesamt als Sponsorfirmen für unsere Organisation O-Chisei auftreten. Bis zum heutigen Tag sind das die Lunar Reparaturdock, Tanaka Accutronics, die Lunar Ship Systems, die Warp Research Laboratories, die Genetech Corporation, die Space Geological Corporation und das Yamamoto Design Collective. Daneben haben wir in den Jinjas unter der Aufsicht des Archivs Beobachter, die die Publikationen von Wissenschaftsjournalisten und anderen durchforsten und den Sponsorfirmen diese Informationen schnellstmöglich zur Verfügung stellen.
Ein Beispiel ist die Firma Warp Research Laboratories. Im Jahr 2022 ist es Wissenschaftlern gelungen, in einem Forschungslabor zufällig eine Mikro-Warp-Blase zu erzeugen. Sie sind perplex gewesen und haben ihr Ergebnis immer wieder überprüft bevor sie es veröffentlicht haben. Sie haben damals hochgerechnet, wieviel Energie es benötigt, diese Technik so zu vergrößern, dass man damit ein Raumschiff antreiben könnte. Über die riesige Energiemenge sind sie desillusioniert gewesen. Darüber sind nun etwa 700 Jahre vergangen. Natürlich ist die technische Entwicklung nicht stehengeblieben. Fusionsreaktoren brauchen heute nicht mehr so viel Raum und so viel Gewicht wie damals und ihre Leistungsfähigkeit ist gegenüber damals immens gestiegen. Trotzdem kann man mit den aktuellen Warp-Antrieben auch heute noch keine Reisen zu fernen Sternen unternehmen. Sie eignen sich aber vorzüglich für interplanetare Reisen im Sonnensystem. Unsere Konkurrenz von der Space Ressource Corporation benutzt für die Langstrecke immer noch Ionen-Strahltriebwerke. Zur Navigation auf engem Raum nutzen wir, genau wie sie, noch Strahltriebwerke. Damit werden Richtungsänderungen, sowie Start- und Bremsmanöver durchgeführt. Der Treibstoff dafür liefert die Venus. Aus den atmosphärischen Gasen wird der Treibstoff hergestellt. Er ist der Rohstoff auf den die Venus ihren Export aufbaut.
Die Mitarbeiter unserer Sponsorfirmen, die alle einmal der O-Chisei angehört haben, dürfen auf unser Archiv zugreifen. Diese Mitarbeiter haben in den Schulen unserer Jinjas unsere Philosophie aufgesogen. Das garantiert, dass sie zum Wohle ihrer Mitmenschen und der Menschheit forschen und arbeiten. Gleichzeitig sollen sie ihre Forschungs- und Arbeitsergebnisse in unserem Archiv ablegen. Diese Cross-Effekte ermöglichen einen schnellen Fortschritt in der Technik. So sind wir mit unseren Sponsorfirmen zusammen eine große Familie. Die Menschheit hat sich in den vergangenen Jahrhunderten von ihrem Heimatplaneten zum Teil gelöst und die Nachbarplaneten im inneren Sonnensystem besiedelt. Wie ich das gerade von der Venus angesprochen habe, kann ich hier auch den Mars nennen. Nur dass sich der Mars von der Prospektoren-Gesellschaft Mars-Ressource Corporation losgesagt und in der Folge abgeschottet hat. Danach hat sich die Mars Ressource Corporation in Space Ressource Corporation umbenannt und umorganisiert."

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