Mittwoch, 26. Juli 2023
Neue Heimat L98 59b (57)
Ohne auf eventuelle Geräusche zu achten, klettere ich vom Baum und verfolge die Tiere, während Piongschi oben wartet. Nach einigen Metern sehe ich das angeschossene Tier vor mir auf der Seite liegen. Zuerst ziehe ich den Pfeil heraus und schiebe ihn zu den anderen in sein Futteral. Ich habe mich neben das Tier gekniet und töte es durch einen Schnitt in die Luftröhre. Dabei danke ich dem Jonga -jagdbaren Tier-, dass es sich hat jagen lassen:

"Mein ßochan -Bruder-, ich danke dir. Dein Geist verbindet sich mit Oschacha -Schöpfer- und dein Körper wird Teil der ßiche -denkenden Wesen-."

So hat es mir Nußa -Mama- beigebracht. Dann binde ich die Beine zusammen und lege mir meine Beute über die Schultern. Uh, ist das schwer!

In diesem Moment fällt ein Netz von oben auf mich herab. Erschrocken winde ich mich unter dem Netz. Meine Haut färbt sich schwarz. In diesem Moment kommen vier Männer heran, deren Haut gelb leuchtet. Diese Männer ergreifen mich und drehen mich im Netz, bis ich mich darin vollkommen verstrickt habe. Vor Angst rufe ich:

"Nein! Was wollt ihr von mir? Lasst mich los!"

Meine Finger verkrallen sich in den Maschen des Netzes. Ich hoffe, dass Piongschi von meinen Rufen gewarnt wurde und sich nicht nähert. Wenn sie die Situation richtig deutet, entfernt sie sich geräuschlos, um unser Volk zu warnen.

Die fremden Männer arbeiten Hand in Hand. Sie holen mich schließlich aus dem Netz und stecken mich in einen Sack. Dabei geben sie mir keine Antwort. Ich starre sie gehetzt an bevor der Sack über mir geschlossen wird. So ganz im Dunkeln gebe ich meine Abwehrbewegungen auf. Nun spüre ich, dass ich weggetragen werde.

*

Ich will gerade vom Baum klettern, als ich Ngamlorr vor Angst rufen höre:

"Nein! Was wollt ihr von mir? Lasst mich los!"

Irgendjemand greift meine Freundin an, und es scheinen mehrere Personen zu sein. Also bleibe ich, Piongschi, erst einmal auf dem Baum und warte eine Weile. Schließlich traue ich mich doch hinunter auf den Waldboden. Mein Herz klopft bis zum Hals. Ich mache mich klein und schleiche langsam dorthin, wo ich Ngamlorr zuletzt vermute.

Tatsächlich finde ich dort Ngamlorrs Waffen auf dem Boden liegen. Das Jonga liegt auch da, aber sie ist weg. Ich schaue mich um und finde eine breitgewalzte Spur im Unterholz, die weiter vom Heimatbaum wegführt. Mein erster Impuls ist, der Spur zu folgen, und zu schauen, was mit meiner Freundin geschehen ist. Aber ich habe Angst, dass mir ähnliches passieren könnte und das Volk dann nichts davon erfährt.

Also nehme ich Ngamlorrs Waffen an mich und kehre zum Heimatbaum zurück. Dabei laufe ich, so schnell ich kann und werfe unterwegs meine eigene Jagdbeute weg, weil sie mich im Fortkommen behindert. Mehrere Male halte ich an, schaue mich gehetzt um und horche auf die Geräusche des Waldes. Aber ich kann nichts Ungewöhnliches bemerken, also folgt mir wohl niemand. Bald habe ich den Pfad zum Heimatbaum erreicht und weiß, dass ich nun in Sicherheit bin.

Den restlichen Weg lege ich zurück, während ich laut "Ay, Ay, Ay, Ay, Ay, ..." rufe. Mein Körper ist tiefschwarz. Ich rufe so laut ich kann. Bald darauf kommen die Männer angelaufen.

Ich laufe auf Chusa -Papa- zu. Meine Kräfte verlassen mich und ich hänge kraftlos an ihm, als er mich in seine Arme geschlossen hat. Die anderen Männer zeigen eine entspannte grüne Hautfarbe und entfernen sich lächelnd.

Ich hole ein paar Mal tief Luft, stelle mich auf meine eigenen Füße und stammele:

"Ngam... Ngamlorr ist... ist entführt... ist entführt worden!"

*

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Sonntag, 23. Juli 2023
Neue Heimat L98 59b (56)
Jahre sind inzwischen ins Land gegangen. Wir, also Piongschi -zu den Fischen gehörend- und ich, Ngamlorr, sind beste Freundinnen geworden. Nun sollen wir gemeinsam unsere Initiation erleben. Das Volk hat uns feierlich verabschiedet. Jede von uns trägt einen langen Dolch aus der Kralle eines Luftgeistes, sowie Pfeile und Bogen mit sich.

Wir haben in der Vergangenheit mit den Waffen gut umzugehen gelernt und wissen, wie man sich lautlos im Wald bewegt, sowie dass wir uns nur gegen den Wind anpirschen dürfen, wollen wir Jagdglück haben. Der Initiationsritus besagt, dass wir einige Tage auf uns gestellt im Wald überleben müssen. Niemand zweifelt daran, dass wir das schaffen werden.

Nachdem wir den Heimatbaum verlassen haben, gehen wir geradewegs auf den Pfad zu, den unzählige Füße in Generationen in den Wald getreten haben. Nachdem sich die Vegetation um mich geschlossen hat, weiche ich vom ausgetretenen Pfad ab und bewege mich lautlos durch das Unterholz vorwärts.

Piongschi macht es mir gleich, entfernt sich dabei aber immer mehr von mir. Sie will ihr eigenes Jagdglück vorweisen können. Trotzdem bleiben wir in Rufweite, wie es auch die Männer der Jagdgruppe machen, wenn sie gemeinsam eine Jagdexpedition unternehmen.

Ich suche aufmerksam nach Spuren, die ein Jonga -jagdbares Tier- an den Pflanzen beim Vorbeistreifen hinterlassen hat, und horche auf jedes Geräusch. Genauso hat es Nußa -Mama- mir unzählige Male gezeigt.

Während Piongschi einige Wühltiere aus ihren Bauen scheucht und zwei davon bis zum Abend erlegt hat, gehe ich am ersten Tag meiner Prüfung leer aus. Piongschi könnte nun zu unserem Volk zurückkehren, aber sie besteht darauf, dass wir gemeinsam den Rückweg antreten. Also erklettern wir einen Baum als sich die Abenddämmerung ankündigt und flechten uns mit biegsamen Zweigen zweier Äste je ein Nachtlager.

Unseren Hunger stillen wir aus einer Tasche, die wir beim Heimatbaum am Morgen um unseren Hals gehängt haben. In aller Frühe werde ich wach und lausche. Piongschi rührt sich kurze Zeit nach mir.

Wir wollen möglichst geräuschlos aus dem Baum herabsteigen, um keine Jonga -jagdbaren Tiere- zu verscheuchen, die in der Nähe vielleicht Nahrung suchen. Wir hätten andererseits aber auch Raubtiere auf uns aufmerksam gemacht.

Nach kurzer Zeit hören wir allerdings ein Rudel von vielleicht zwanzig jagdbaren Tieren näherkommen, die schnaufend das Erdreich umgraben, auf der Suche nach Wurzeln, Pilzen und anderer Nahrung.

Also mache ich meinen Bogen klar und lege einen Pfeil auf, der mit Betäubungsgift getränkt ist. Dann warten wir geduldig. Kurz darauf wandert das Rudel unter uns vorbei. Als ein Jonga mir ein gutes Ziel abgibt, verlässt der Pfeil meinen Bogen und steckt einen Sekundenbruchteil später im Rücken des Tieres unter mir. Nun rennt das ganze Rudel davon und macht dabei einen großen Lärm.

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Donnerstag, 20. Juli 2023
Neue Heimat L98 59b (55)
Der Genetiker will uns über meinen Kommunikator Bescheid geben, wenn er unsere Gene so angeglichen hat, dass daraus ein gemeinsames Kind entstehen kann, dass aber nicht vom weiblichen Organismus als fremd eingestuft und abgestoßen wird. Danach sollen wir öfter zu ihm kommen. So oft nämlich, bis sich eine befruchtete Eizelle in ihrer Gebärmutter eingenistet hat.

Anschließend gehen wir vor die Stadt und ich rufe den Churrot zu mir. Ich lasse Ngachischi vor mir Platz nehmen, damit ich sie auf dem Flug halten kann, falls sie einen Schwächeanfall bekommt. Dann fliegen wir zurück. In Folge müssen wir den Genetiker noch ein paar Mal besuchen, bis sie mir eines Tages eröffnet, dass sie schwanger ist.

*

Eines Nachmittages ruft mich, Lars McGiven, unser Genetiker an. Was er zu berichten hat, schlägt bei mir wie eine Bombe ein: Er hat eine indigene Frau zur Untersuchung in seinem Labor gehabt. Es ist darum gegangen, eine künstliche Befruchtung zustande zu bringen bei einerseits menschlichem Erbgut und andererseits ihrem Erbgut von hier.

"Das ist doch unmöglich!" habe ich ausgerufen und an einen schlechten Witz gedacht.

Aber nein, unser Botschafter bei den Ngachi hat sich eine indigene Frau genommen und nun hätten sie gerne ein Kind...

Nebenbei hat der Genetiker sie in die Medizin gebeten und dort mit unterschiedlichen Geräten durchleuchtet. So haben wir nun eine Menge Informationen über den Aufbau des Körpers, der Knochen und vieles mehr. Nach dem aufschlussreichen Gespräch wähle ich mich in unser Archiv ein und schaue mir die indigene Frau 'von innen' an. Das ist alles hochinteressant.

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Als Ngachischi schwanger ist, ist besonders bei meinen Schwiegereltern die Freude groß. Wir nennen unser Mädchen 'Ngamlorr', was in etwa 'gut zusammenpassen' oder 'wohlklingend' bedeutet, wenn man dabei an die Lieder des Volkes denkt.

Kurze Zeit später entdeckt der Anführer des Jagdtrupps im Wald die junge Frau eines benachbarten Volkes. Statt sich zu verstecken, hat sie sich zu erkennen gegeben und vor dem Anführer ein prächtiges Farbenspiel ihrer Haut gezeigt. Nach menschlichen Maßstäben würde man sagen, sie hat ihn angeflirtet. Die Schamanin hat ihm vor zwei Jahren provezeit, dass er seine Frau im Wald finden würde. Deshalb hat er mit ähnlich prächtigem Farbenspiel geantwortet.

Ein Jahr darauf hat auch diese Frau Nachwuchs bekommen. Nun sind Ngachischi und die Frau mit den Kindern, sobald sie laufen können, in den Weltenwald gegangen, um ihnen zu erklären, welche Pflanzen und Tiere dort leben, welche essbar sind und welche man meiden soll.

Sie haben ihnen die Mythologie der Ngachi erklärt und mit ihnen Pflanzen und Pilze gesammelt, sowie in einem nahen Cklugga -Wasserlauf- Fische gefangen. Die Frauen haben die Mädchen von klein auf beigebracht zu teilen, indem sie alles, was sie aus dem Weltenwald herbeibringen, weitergeben. Die Männer bringen Jagdbeute herbei und anschließend wird alles gerecht aufgeteilt und gegessen. Eine Vorratshaltung kennen die Ngachi nicht und verschwendet wird auch nichts. So sehen die Bäuche nach dem Essen meist ziemlich rund aus.

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