Donnerstag, 12. Oktober 2023
Neue Heimat L98 59b (83)
Meine Mama kommt nach wenigen Sekunden aus dem Livingroom neugierig in den Flur. Dann strahlt sie über das ganze Gesicht.

"Hallo Joe! Das ist aber eine Freude! Wen hast du denn da mitgebracht?"

"Das ist meine Frau Ckilorr, Mama. Ckilorr, hier siehst du meine Nußa -Mama-, Padma."

Ckilorr neigt leicht ihren Kopf und antwortet:
"Ich sehe dich!"

Mama wirkt leicht irritiert über diese Begrüßungsformel, lässt sich aber nichts anmerken, sondern bittet uns in den Livingroom. Ich biete Ckilorr einen Platz auf einer Couch mit hoher Rückenlehne an und setze mich neben sie.

Sie kuschelt sich an die Rückenlehne und lehnt sich an mich. Danach zieht sie die Beine an und legt sie angewinkelt neben ihrer Hüfte auf die Sitzfläche. Ihre Fußsohlen hinterlassen nun allerdings Spuren auf der Sitzfläche. Höflich übergeht Mama den Faux Pas. Sie fragt mich:

"Du hast Ckilorr bei den Indigenen kennengelernt, während du dort gearbeitet hast?"

"Ja," meine ich. "So kann man das ausdrücken: Sie hat mir anfangs als Interview-Partnerin zur Seite gestanden und mir viel gezeigt und erklärt. Darüber sind wir uns über die Zeit nähergekommen und haben uns ineinander verliebt."

"Du hast sehr gut Englisch sprechen gelernt, Ckilorr. Das ist wichtig, wenn man sich hier unter uns bewegen will. Wie geht es dir denn so?"

"Danke sehr! Im Moment weiß ich noch nicht, wie es mir geht. Es ist alles so neu für mich."

"Das glaube ich," bestätigt Mama. "Habt ihr schon etwas zu Mittag gegessen?"

"Noch nicht, Mama. Wir haben uns am Vormittag auf den Weg gemacht," erkläre ich ihr.

"Oh, dann habt ihr sicher Hunger!" meint sie und wendet sich an Ckilorr: "Was magst du denn essen?"

"Was der Wald bietet," antwortet sie einfach.

Ich denke, ich muss mich hier erklärend einschalten.

"Die Frage 'Hast du Hunger?' verstehen die Ngachi nicht, Mama. Es wäre in etwa so, als würde man unsereins fragen 'Willst du atmen?'. Wenn sie essen möchten, gehen sie in den Wald, graben Wurzeln aus, pflücken Blätter, fangen Fische und graben Insektenlarven aus der Baumrinde."

"Hm," macht Mama. "Du weißt, dass das hier etwas anders ist."

'Wurzeln, Blattgemüse und Fisch', murmelt sie und erhebt sich, um in die Küche zu gehen.

Kurz darauf kommt sie in den Livingroom zurück. Sie erklärt:

"Ich habe noch etwas Fisch, Salat und Kartoffeln da. Danach müssen wir aber einkaufen gehen, sonst hat Papa heute Abend nichts mehr zu essen."

Ckilorr schaut mich mit gerunzelter Stirn an. Ihre Haut ist die ganze Zeit schon dunkelbraun. Ich nicke Mama zu und erhebe mich.

"Wir helfen dir bei der Zubereitung," schlage ich vor. "Dann sieht Ckilorr auch, wie wir das machen."

Zu Ckilorr sage ich "Kommst du mit in die Küche?" und strecke ihr die Hand entgegen, um ihr beim Aufstehen zu helfen.

Kaum steht sie vor der Couch, ist Mama mit einer Sprühflasche und einem Lappen heran, um den Fleck auf der Couch zu behandeln, der durch Ckilorrs Fußsohlen entstanden ist. Anschließend legt sie eine Decke über die Couch und drückt sie in den Ecken fest.

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Montag, 9. Oktober 2023
Neue Heimat L98 59b (82)
In dem Moment kommt eine Patrouille unserer Security an uns vorbei und grüßt freundlich. Ich grüße zurück. Ckilorr, inzwischen wieder entspannt grünhäutig, wird schlagartig dunkler. Sie schaut den beiden Männer mit ängstlich geweiteten Augen hinterher.

"Was hast du?" frage ich und versuche, meiner Stimme einen weichen Klang zu geben.

Ckilorr drückt sich an mich und fragt:
"Sind das Männer von dem Security-Volk? Wo leben die Security-Frauen und die Security-Kinder? Tragen sie ihre Security-Babys wie wir am Körper?"

Ich schaue erst einmal dumm. Dann fällt mir ein, dass sie unsere Security als einen besonders aggressiven Stamm der Menschen versteht. Wieder versuche ich sie zu beruhigen, indem ich meinen Arm um sie lege und sage:

"Du hast von der Security nichts zu befürchten, Liebes! Solange du nichts unrechtes tust, bleiben sie ganz freundlich."

So ganz scheint sie meiner Erklärung nicht zu trauen, denn auch in der Zukunft geht sie jedem Zusammentreffen mit Patrouillen aus dem Weg. Lieber versteckt sie sich hinter allem, was sich gerade bietet.

Bei den Elektro-Wagen, die eine Ebene tiefer fahren, leuchten die Scheinwerfer auf, wenn sie losfahren. Dann sehen sie aus, wie unbekannte Tiere. Schon wieder reagiert Ckilorr voller Angst, so dass ich sie wieder beruhigen muss. Der Weg zu meinen Eltern, wo ich ein Zimmer bewohne, hat sich auf diese Weise zu einer Art Spießrutenlauf entwickelt. Ich bin froh, endlich zuhause angekommen zu sein.

Ich öffne die Haustür mit meiner Karte und gehe zum Aufzug neben der Treppe. Dort drücke ich den Knopf, mit dem ich die Kabine anfordere. Kurz darauf öffnet sich die Aufzugtür. Ckilorr hineinschiebend betrete ich den Aufzug und drücke den Knopf für die dritte Etage.

Es zischt und ruckelt ein wenig, dann öffnet sich die Tür wieder und gibt einen veränderten Vorraum frei. Die Treppe, die von unten heraufführt, ist nun auf der anderen Seite des Aufzuges. Dort, wo eben noch der Hauseingang gewesen ist, befindet sich nun eine Mauer mit einem Fenster. Ckilorr schaut mich groß an und fragt zitternd:

"Bist du ein Ockaßu -Schamane-? Wo hast du uns hingezaubert?"

Ich drücke sie noch einmal fest an mich und versuche eine Erklärung:

"Nein, Liebes. Ich bin kein Ockaßu. Dieser Raum wird in einer Röhre automatisch auf die gewünschte Höhe gebracht."

Sie entspannt sich nicht wirklich. Auch in Zukunft merke ich immer wieder, dass sie, wenn ich das Wort 'automatisch' verwende, es als eine Art Magie der Vchhtep -Himmelswesen- ansieht und als gegeben akzeptiert, aber nicht wirklich versteht.

Nun gehe ich auf die Wohnungstür der Elternwohnung zu und halte meine Karte an den Türrahmen. Das Schloss klickt leise und ich drücke die Tür nach innen.

"Hallo!" rufe ich in die Wohnung. "Ist jemand zuhause?"

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Freitag, 6. Oktober 2023
Neue Heimat L98 59b (81)
Zwei Stunden später landen beide Saurier am Stadtrand von Eseís. Wieder sammeln sie viel Luft unter ihren Flügeln, bremsen dadurch und strecken die Hinterbeine dem Boden entgegen. Bei Bodenberührung geht ein Ruck durch den Körper des Flugsauriers. Zwei Sekunden später haben auch seine Vorderbeine Bodenberührung, nachdem er seine Hautflügel zusammengefaltet und rechts und links nach oben gestreckt hat.

Jetzt bin ich etwa fünf Meter über dem Boden. Ich ziehe die Beine aus den Schlaufen, als 'Schimm' seinen Saurier dazu bewegt, sich auf den Bauch zu legen. Nun brauche ich nur noch einen Höhenunterschied von einem Meter zu überwinden. Also rutsche ich über das Leder und stelle mich neben dem Tier auf meine Füße.

"Nimm am besten etwa zehn Meter Abstand, Joe! Ich wünsche euch beiden alles Gute. Besuchen sie den Genetiker Mister McGiven und berichten Sie ihm, dass es 'Ngachischi' und 'Ngamlorr' gut geht!"

Ich ziehe mich zurück und verspreche 'Schimm', dass ich den Mann aufsuchen werde. Da kommt schon 'Ckilorr' angelaufen. Sie hat den Ckurrot weit umrundet und fällt mir nun in die Arme. Während die Flugsaurier in die Luft hüpfen und die Flügel zum Start ausbreiten, gehen wir langsam auf Eseís zu.

*

Wir befinden uns hier an der Bahnlinie der Einschienen-Hochbahn, die Eseís mit dem Seenland verbindet. An ihr wandern wir entlang, bis wir den Bahnhof erreichen. Ich ziehe Ckilorr in das Gebäude hinein und betrete die Ladenstraße. So etwas hat sie noch nie gesehen und macht große erstaunte Augen, während sich ihre Haut vor Unsicherheit dunkelbraun verfärbt.

"Du siehst, die Menschen verhüllen sich mit bunten Stoffen. Sie können die Farbe ihrer Haut nicht verändern, aber über die Verhüllung versuchen sie, ähnliche Signale zu senden. Es ist so etwas, wie eine Dekoration."

Wir betreten ein Bekleidungsgeschäft und ich lasse Ckilorr ein wenig stöbern. Ich selbst trage seit heute Morgen wieder die Kleidung, die ich getragen habe, als ich zu den Ngachi gekommen bin. Ckilorr hat bald ein Kleid gefunden, das ihr gefällt. Sie zieht es sofort an und die freundliche Verkäuferin führt sie vor einen Spiegel, damit sie sich begutachten kann.

Ckilorr ist ausgeflippt. Sie hat sich hinter einem Regalschrank versteckt und ich habe sie beruhigen müssen. Ihre Haut hat sich tiefschwarz verfärbt und sie hat sich krampfhaft an mir festgehalten. Ich habe ihr Kleid mit meiner Karte bezahlt und wir haben das Geschäft verlassen, wobei sie einen weiten Bogen um den Spiegel gemacht hat. In einem Stoffladen habe ich eine Stoffbahn erstanden, in die wir unsere Bögen, die Pfeile in ihren Köchern und die Macheten einwickeln und verschließen lassen. Das Paket ist unauffälliger beim Gang durch die Stadt.

Wir spazieren danach weiter in die Stadt hinein. Sie schaut sich aufmerksam um. Sie fragt mich, was das rechts und links des Pedways für Felsen sind. Tja, unsere Häuser sind aus Sandstein errichtet. Ich versuche eine Erklärung:

"Vor vielen vielen Generationen, als wir noch so ähnlich gekleidet waren, wie die Ngachi und noch ähnliche Waffen und Kochfeuer hatten, haben wir uns vor dem Regen in Höhlen zurückgezogen und davor auf den weiten Grasflächen gejagt. Heute bauen wir unsere Höhlen selbst. Diese 'Felsen' sind innen hohl. Waffen tragen wir nicht mehr. Das machen nur noch unsere Sicherheitskräfte. Und offenes Feuer in unseren heutigen 'Höhlen' brauchen wir auch nicht mehr."

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