Montag, 22. Juli 2024
Neue Philosophie -14
Worauf sie mir antwortet:
"Sie müssen stoppen ihre Arbeit und gehen zu ihren Medizinmännern."

Ich nicke. Es handelt sich also um so etwas, wie eine Lebensmittelvergiftung, auf die der Verdauungsapparat mit Leibschmerzen reagiert. Die Yanomami kennen sicher ein Gegengift, das die Wirkung neutralisiert. Ganz bestimmt haben unsere Ärzte die geeignete Therapie dafür. Also wird niemand daran sterben müssen. Aber ob das die Minengesellschaft zum Rückzug bewegt? Zumindest wäre es ein Versuch wert und wir können das Ergebnis sehen. Danach kann man entscheiden, wie es weitergehen soll.

Meine Lehrerin spricht mit dem Häuptling darüber. Anschließend wird eine Versammlung der Männer einberufen. Irgendwie kommt mir der Alltag in dem Shapono -Dorf- so vor, als liegt das Wohl und Wehe in den Händen der Männer. Wirklich patriarchalisch scheint die Gesellschaft der Yanomami dennoch nicht aufgebaut zu sein, denn die Frauen entscheiden viel selbst. Die Männer kümmern sich zum Beispiel nicht um die Hausarbeit, was hier im Regenwald das Kochen, Braten, Sammeln, Fischen und Anbau einiger Pflanzen, sowie das Flechten beinhaltet. Die Männer kümmern sich um das Jagen, den Bau eines neuen Dorfes, das Pflegen ihrer Waffen. Wie man an meiner Lehrerin und einigen wenigen anderen Yanomami-Frauen sehen kann, überschneiden sich die Zuständigkeiten manchmal. Nichts ist in Stein gemeißelt.

An der Versammlung nehmen auch die beiden Gäste teil, die besser als ich Yanomam sprechen können. Sie haben allerdings mandelförmige Augen, wie bei Ostasiaten üblich. Eine Henimou -Expedition- zur Mine wird vereinbart, die am nächsten Tag in aller Frühe gestartet werden soll. Gegen 4:30 Uhr am folgenden Morgen weckt mich meine junge Lehrerin energisch. Jeder Mann trägt einen ausgehöhlten Kürbis, gefüllt mit dem Saft der Timbó-Liane und mit einem Holzpfropfen verschlossen, den Schnüre an seinem Platz halten. Auch ich erhalte einen Kürbis an einer langen Leine, die ich mir um die Stirn hänge, so dass die Last auf meinem Rücken hängt.

Die Männer umgehen am Tag nach unserer Ankunft auf meinen Rat hin die Mine und schütten den Inhalt der Kürbisse in die Trinkwasser-Aufbereitungsanlage an einem nahen Fluss. Von dort führt eine Rohrleitung zu den Unterkünften. Meine Lehrerin macht den Ausflug mit, um als Übersetzerin für mich zu dienen.

Tatsächlich bleiben die Bulldozer kurze Zeit später stehen. Die Yanomami kehren anschließend in ihr Dorf zurück. Nur zwei Männer bleiben versteckt in der Nähe und beobachten, was sich in der Mine tut. Gegen Abend wird das Geräusch von Hubschraubern immer lauter. Es sind Militärhubschrauber mit roten Kreuzen in weißem Feld. Sie leuchten das Camp der Arbeiter aus und tragen einige der Minenarbeiter in ihre Maschinen.

Die ganze darauffolgende Nacht kommen neue Hubschrauber an, um weitere Männer aus dem Camp zu evakuieren. Die Mine scheint erst einmal verwaist zu sein. Zwei Wochen später landet ein bewaffneter Militärhubschrauber im Camp. Nach einigen Minuten startet er wieder und einen Tag darauf landen zwei Transport-Hubschrauber und spucken unzählige Soldaten aus. Die Beobachter sind nun ebenfalls ins Dorf zurückgekommen und berichten, was sie gesehen haben. Leider weiß ich nicht, wieviel Männer abgesetzt wurden. Yanomami haben kein Zählsystem. Sie zählen nur Eins, Zwei, Viele.

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Freitag, 19. Juli 2024
Neue Philosophie -13
Meine Worte berühren ihn unangenehm. Nun fragt er mich:

"Aber was können wir als Einzelne oder kleine Gruppen schon gegen die mächtigen wirtschaftlichen Interessen tun?"

Deshalb stelle ich ihm eine Gegenfrage:
"Du ein Krieger. Du starkes Herz! Keine Angst, aber unwissend noch wie Kind! Du kämpfen für uns?"

"Und wie gedenkst du mit Speeren und Pfeilen gegen Maschinengewehre zu bestehen? Wir sollten besser andere Siedlungsgebiete suchen," meint er.

"Die Weißen uns töten mit ihren Napenaperipe -krankmachende Geister der Weißen (Viren)-. Wenn du bist ein Krieger und kämpfst für gerechte Sache, dann Timbó -Lianengift- in ihr Trinkwasser schütte."

"Was passiert dann?"

*

Die junge Frau ist von dem älteren Mann wahrscheinlich beauftragt worden, mich in die Welt der Yanomami einzuführen. Jedenfalls hat sie mich beiseite gezogen und mir bedeutet mich auf dem Boden neben sie niederzulassen. Sie kann gebrochenes Englisch. Dadurch ist eine Verständigung zwischen uns leidlich möglich. Wahrscheinlich ist vor Jahren einmal ein Wissenschaftler aus den Staaten hier gewesen...

Sie beginnt damit, mir Begriffe in ihrer Muttersprache vorzusprechen und lässt sie mich nachsprechen. Daneben erklärt sie mir ihre archaische Weltsicht. Mich macht besonders betroffen, dass sie uns Weißen unterstellt, an die von uns produzierten Waren soviel Gedanken zu verschwenden, wie gegenüber einer Geliebten.

Plötzlich wird es laut im mittleren Rund des Shabono. Drei Männer haben das Dorf betreten. Alle Drei sind wie Yanomami gekleidet - genau wie ich inzwischen auch -, aber nur einer der drei Männer scheint ein echter Yanomami zu sein. Meine junge Lehrerin erhebt sich und nähert sich der Gruppe, die inzwischen von dutzenden Mitgliedern unseres Dorfes umringt werden. Auch der Häuptling und die Schamanin gehen näher heran. Neugierig erhebe ich mich ebenfalls, bleibe aber im Hintergrund. Von der Unterhaltung kann ich bis jetzt nur einzelne Worte verstehen.

Sie hat mir eine Bewährungsprobe vorgeschlagen, so dass ich mir selbst und meinen neuen Bekannten zeigen kann auf welcher Seite ich stehe. Ich soll mich mit anderen Männern des Dorfes an die Mine heranschleichen und den Saft einer Lianenart in ihr Wasseraufbereitungssystem schütten. Interessiert habe ich die Wirkung dieses Saftes erfragt:

"Was passiert dann?"

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Dienstag, 16. Juli 2024
Neue Philosophie -12
Ich mache ein entsetztes Gesicht, aber füge mich dem Richterspruch des Häuptlings. Zuerst einmal muss er dringend Yanomam lernen. Gleichzeitig erläutere ich ihm unsere Mythologie. Dazu setzen wir uns unter das Strohdach und ich beginne:

"Wir befinden uns hier alle im Urihi -Erdenwald-. Für uns er ist nicht bloß zur Nutzung bestimmt. Er lebt und im ständigen Austausch mit den Yanomami thepe -menschlichen Wesen- steht. Er ist komplex. Weitere Wesen im Austausch die Yaro -jagdbaren Tiere-, Rishi -Doppeltiere- und Sharipe -Geister- sind.
Die Weißen nichts wissen davon und so sie das Gleichgewicht zerstören. Unsere Schamanen nun nicht mehr die Rauch-Epidemien von uns können fernhalten. Die Nabuh schon immer dumm gewesen. Darum Omama -Schöpfer- sie durch das große Wasser von uns getrennt hat. Aber die Weißen ihren Teil des Urihi a pree -großen Welt-Waldes- zerstört haben, um Riesenkanus, Riesenvögel und Riesengürteltiere (Bulldozer) zu bauen, atmen stinkenden Rauch.
Nun die Weißen erzählen eine Lüge. Sie sagen, sie entdeckt haben Urihi. Und nun ihnen alles gehört. Aber wir seit Anbeginn der Zeit sind hier! Das die Nabuh -Weißen- nicht hören wollen. Wegen ihrer Lügengeschichte sie sich nun nehmen die Bäume, graben Löcher in den Boden und vergiften die Flüsse."

Der Nabuh legt seine Stirn in Falten und macht ein betroffenes Gesicht während ich rede. Dann glätten sich seine Gesichtszüge wieder, als er antwortet:

"Ich bin ein Krieger. Ich wollte mein ganzes Leben für eine gerechte Sache kämpfen. Aus dem Grund bin ich auch hergekommen. Das ist alles falsch gewesen..."

Er hört sich niedergeschlagen an. Seine Schultern hängen. Deshalb setze ich nach:

"Wir Yanomami -Menschenwesen- möchten, dass der Regenwald so bleibt, wie er schon immer war - und das für immer! Wir möchten in ihm leben können, in guter Gesundheit, und mit uns die Shapiripe -Geister-, die Yaro -jagdbaren Tiere- und alle Fische. Wir kultivieren nur die Pflanzen, die uns ernähren! – Wir brauchen keine Fabriken, keine Löcher in der Erde und keine verschmutzten Flüsse! Wir möchten, dass der Wald ein ruhiger Ort bleibt, dass der Himmel klar über uns steht, dass sich die Dunkelheit der Nacht weiterhin und mit aller Regelmäßigkeit über Menschen und Tiere senkt, und dass man die Sterne sehen kann.
Die Erde der Nabuh -Weißen- ist verdorben, sie ist bedeckt von Shawara -einem epidemischen Rauch-, der sich bis zum Gewölbe ihres Himmels erhebt. Dieser Rauch fließt auch in unsere Richtung, aber noch hat er uns nicht erreicht, denn Hutukarari -der himmlische Geist- vertreibt ihn unermüdlich. Über unserem Wald ist der Himmel immer noch klar, weil es noch nicht lange her ist, dass sich die Weißen in unser Gebiet eingeschlichen haben.
Aber eines Tages wird auch dieser Rauch sich soweit ausgebreitet haben, dass er die Erde verdunkelt und die Sonne zum Erlöschen bringt. Die Weißen denken nie an diese Dinge, welche die Okape -Schamanen- schon seit langem befürchten, und deshalb haben die Weißen keine Angst vor den Konsequenzen. Ihre Gedanken sind voll von Vergessenheit. Denn sie fahren fort, ihre Gedanken nur an ihre Waren zu verschwenden - so als ob diese ihre Geliebten seien."

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