Freitag, 3. Juni 2022
Kiron, der Sucher - 20
Inzwischen sind sieben Jahre vergangen. Wir haben wieder begonnen durch das Land zu wandern, nachdem wir festgestellt haben, dass in der Hauptstadt kein Kind neuneinhalb Monde nach dem Tod des schwarzen Mönchs bei der Schlacht in der Nähe unseres Ashrams geboren worden ist.

Wir wollen unbedingt die Punarjanm -Wiedergeburt- des schwarzen Saadhu finden, der Prana-sensitiv an der Schlacht teilgenommen hat. Ihn im Sinne Buddhas zu erziehen, wäre unser Traum, damit die Irrlehre keine Anhänger mehr findet, oder auch, damit die Urheber der Irrlehre in ihrem zweiten Leben geläutert werden.

Wir legen den gefundenen Kindern die persönlichen Gegenstände des schwarzen Saadhu -Mönchs- vor und beobachten ihre Reaktion. Oder wir lassen sie aus mehreren gleich aussehenden Gegenständen auswählen und schauen, was sie spontan wählen.

Bisher haben wir kein Glück. Keines der gefundenen Kinder, die das richtige Geburtsdatum haben, zeigt die Reaktion, die wir brauchen, um sicher zu sein. Wir fragen die Eltern dann, ob sie ihren Sohn wieder in ihr Dorf zurücknehmen wollen, oder ob sie sich vorstellen können, dass er ein Mönch würde. Ein großer Teil der Leute lässt eine Spende da und verlässt uns wieder mit ihrem Sohn. Sie brauchen ihren Jungen zuhause als Arbeitskraft auf den Feldern.

Einige wenige lassen ihre Jungs im Tempel von uns Saadhu -Mönchen- unterrichten. Sie haben damit das Beste für ihr Kind im Sinn, denn die Bildung, die ihr Sohn bei uns bekommt, erhält er in ihrem Heimatdorf nicht.

Eines Tages wird mir wieder ein Junge zugeführt. Ein Saadhu bringt seine Eltern mit ihrem Sohn in meine Klause und hält sich im Hintergrund bereit. Ich lächele die Familie an, hebe die gefalteten Hände an mein Kinn und begrüße den Besuch. Dann frage ich den Jungen:

"Wie heißt du, mein Sohn?"

"Tejas, Paramapaavan -deine Heiligkeit."

"Namastee, Tejas -Hallo, Leuchten-. Ich möchte dir etwas Besonderes zeigen. Magst du mich begleiten?"

Der Mönch, der die Familie zu mir geführt hat, ist kurz vorher durch die Tür geschlüpft. Nun steht er an einer anderen Tür, die bisher verschlossen gewesen ist. Als wir uns nähern, öffnet er sie und verbeugt sich mit einem Lächeln.

Wir betreten den Raum. Ich zünde eine Öllampe an und reiche sie dem Mönch, damit er das Regal an der Wand ausleuchtet. Dann frage ich den Jungen:

"Du siehst im Regal verschiedene Gegenstände in mehrfacher Ausführung ausgestellt, Tejas. Sage mir, welche Kesa dir besser gefällt."

Der Junge schaut hin und wendet sich danach wieder mir zu.

"Aber das sind vier gleiche Kesa -Mönchsgewänder-!"

Ich lächele und korrigiere:
"Die Kesa sehen gleich aus, aber sie sind tatsächlich unterschiedlich. Geh' ruhig näher heran und fasse sie auch gern einmal an, mein Junge!"

Tejas ist neugierig geworden. Er tritt näher an das Regal heran und befühlt die Stoffe. Schließlich deutet er auf eine der schwarzen Kesa. Der Saadhu nimmt sie aus dem Regal und bringt sie mir. Ich schaue auf das versteckte Zeichen und nicke.

Der Junge schaut mich aufmerksam an. Nun deute ich auf die vier Reisschalen, die nebeneinander in einem weiteren Regal stehen. Ich sage lächelnd zu dem Jungen:

"Schau! Dort neben den Kesa stehen vier Reisschalen. Gefällt dir eine davon auch mehr als die Anderen?"

Tejas geht noch einmal zum Regal. Er nimmt eine Schale nach der Anderen in die Hand und dreht sie herum. Er schaut sich auch ihre Unterseite an und riecht sogar daran. Dann stellt er sie zurück und untersucht die nächste Schale. Als er alle vier Schalen eingehend unter die Lupe genommen hat deutet er auf die Dritte in der Reihe.

"Diese mag ich!" entscheidet er.

Der Saadhu nimmt die Schale aus dem Regal und bringt sie mir. Im Gegenzug nimmt er mir die Kesa ab und faltet sie sorgfältig, um sie wieder ins Regal zurückzulegen. Währenddessen schaue ich nach dem versteckten Zeichen auf der Reisschale. Treffer Nummer Zwei! Nun sage ich zu ihm:

"An der Seite des Regals hängen vier Rassee -Kordeln-, mit denen sich ein Mönch gürten kann. Magst du auch eine der Kordeln lieber, als die Anderen, Tejas?"

Er nähert sich nun der Seite des Regals und nimmt eine Schnur nach der anderen in die Hand. Schließlich reicht er dem Saadhu -Mönch- eine der Schnüre. Ich erhalte auch sie zur Prüfung und gebe sie danach dem Mönch zurück.

"Kuna -Gut-," sage ich und mache Anstalten, den Raum zu verlassen.

"Kommt mit in meine Wohnung," fordere ich die Familie auf, während der Mönch den Raum wieder verschließt.

In meiner Klause lasse ich mich auf dem Boden im Schneidersitz nieder. Tejas und sein Vater machen es genauso, während die Mutter sich neben ihre Füße setzt. Der Saadhu ist wieder bei uns und serviert allen eine Schale Tee.

"Könnte ich dich dazu bewegen, deinen Sohn in unserer Klosterschule unterrichten zu lassen, ehrenwerter Herr?" frage ich den Vater.

Nun entwickelt sich ein kurzes Palaver. An dessen Ende lasse ich Tejas von dem Saadhu -Mönch- in seine Jahrgangsklasse bringen, nachdem er sich von seinen Eltern verabschiedet hat. Danach verabschiede ich die Eltern mit Segenswünschen ebenfalls.

Beim Abendessen im Speisesaal berichte ich meinen Mitbrüdern, dass wir die gesuchte Punarjanm -Wiedergeburt- des feindlichen Klostervorstehers gefunden haben. Ich lege ihnen Tejas ans Herz, damit sie gut auf den Jungen achten.

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