Donnerstag, 16. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -13
Eine halbe Stunde sind wir im Bahnhof und buchen den Nachtzug nach Nürnberg. Dort wechseln wir nach zwei Stunden Wartezeit in den Zug nach Immenstadt. Nach einer Wartezeit von einer Viertelstunde erreichen wir nach weiterem Umsteigen acht Minuten später Sonthofen, von wo wir nach 15 Minuten Bad Hindelang mit dem Bus erreichen.

Hier kenne ich mich aus. Ich habe meinen Vater hier im Allgäu schon oft besucht. Also gehen wir den Weg vom Busbahnhof zu Fuß. Das Städtchen hat eine sympathische Altstadt mit engen Gassen. Wir durchschreiten einen gemauerten Bogen, in dem im Mittelalter ein schweres eichenes Tor gewesen sein muss. Kurz darauf erreichen wir den Altbau, den mein Vater als sein Altenteil gekauft hat.

In dem Moment öffnet sich die Haustür und zwei junge Mädchen, vier und sechs Jahre alt, stürmen die kurze Treppe herunter. Sie laufen mir in die Arme und rufen erfreut:

"Tante Leni!"

Dann umgehen sie uns und laufen auf den kleinen Spielplatz mit Schaukel, Wippe und einen Sandkasten auf der anderen Seite der Gasse, eingeklemmt zwischen zwei Häusern.

Ihr Ruf hat meine Mutter an die Haustür gelockt. Sie breitet erfreut die Arme aus, über das ganze Gesicht lachend. Ich laufe ihr in die Arme und rufe, glücklich lächelnd:

"Hallo Mama!"

"Guten Morgen, Leni. Wie wundervoll, dich gesund zu sehen!" antwortet sie und macht die Tür frei.

Ashok hat mit meinem Koffer auch schon den Eingang erreicht. Mama begrüßt ihn höflich und schließt die Haustür hinter ihm. Ich habe in der Tür zum Wohnzimmer meine ältere Schwester am Fenster stehend entdeckt und laufe auf sie zu, um sie zu umarmen.

Ashok ist auch in der Wohnzimmertür aufgetaucht. Er hält sich höflich zurück. Lara, meine Schwester, ist damit beschäftigt gewesen, den Frühstückstisch abzudecken. Mama kommt hinzu und fragt:

"Habt ihr schon gefrühstückt, Leni?"

Ich schüttele den Kopf und sie antwortet:
"Gut, Lara. Dann lass zwei Gedecke auf dem Tisch. Wir können uns ja kurz hinzusetzen."

Lara holt zwei Frühstücksgedecke aus dem Schrank. Ich helfe ihr. Alles ist wie früher. Sie wirft währenddessen ab und zu einen Blick aus dem Fenster, um auf ihre Mädchen zu achten. Dabei flüstert sie mir zu:

"Warum hast du uns nichts von ihm erzählt?"

"Was soll ich erzählen? Er ist doch nur ein Junge," antworte ich, genauso leise.

"Ein Junge? Hast du gesehen, wie er dich ansieht?" fragt sie zurück.

Eine Falte hat sich auf ihrer Stirn gebildet.

"Lara, hör' bitte auf!" antworte ich, verlegen lächelnd.

"Es ist ganz offensichtlich, dass er Gefühle für dich hat!" stellt sie fest.

Inzwischen hat Mama den Tisch wieder für uns gedeckt. Papa kommt herein. Ich lasse Lara stehen und laufe Papa in die Arme. Freudig begrüße ich auch ihn. Lara und Mama haben sich inzwischen an den Tisch gesetzt. Mama bietet Ashok einen Stuhl an. Papa und ich setzen uns hinzu und Mama bedient mich. Sie schaut Ashok an und sagt:

"Nehmen Sie sich ruhig, was Sie mögen, Herr..."

"Gurun," sage ich schnell. "Ashok Gurun. Es ist der kleine Junge, den wir damals in Nepal aus der Schuldknechtschaft befreit haben."

"Oh," macht sie und Papa ergänzt:
"Aus dem kleinen Jungen ist aber inzwischen ein stattlicher junger Mann geworden!"

Ashok schaut ihn lächelnd an. Papa erwidert den Blick wohlwollend. Lara schmunzelt und wendet sich über den Tisch an Ashok:

"Weißt du, Ashok, dass du der erste Freund bist, den meine Schwester jemals nach Hause gebracht hat."

Es ist mir peinlich, dass Lara immer noch keine Ruhe gibt. Ich winde mich und erkläre mit abgewandtem Gesicht:

"Ashok und ich sind bloß gute Bekannte..."

Nun schaut Papa skeptisch von mir zu Lara. Er sagt:
"Lara, bitte sei ruhig."

Als das Frühstück beendet ist, hilft Lara Mama beim endgültigen Abräumen, während Papa fragt:

"Ist in den letzten Tagen irgendwas passiert in Berlin?"

Ich lege meine Stirn in Falten. Die Erinnerung an die Schocks überwältigt mich einen Moment. Papa schaut von mir zu Ashok. Dieser beginnt zu berichten:

"Ehrenwerter Herr Mrachartz, diese Lösegeldgeschichte ist anders als üblich. Man sollte meinen, dass jemand entführt wird, um später gegen Lösegeld freigelassen zu werden. Diese Verbrecher gehen dafür aber zu aggressiv vor, und dadurch lassen sie sich durch mich leicht erfühlen.
Vorgestern habe ich ihre verehrte Tochter in einen Club begleitet. Es ergab sich einfach so, ungeplant. Wir blieben unbehelligt bis Leni aufbrechen wollte. Plötzlich kam es zu einem Messerangriff. Ich konnte ihn leicht abwehren, denn die Leute verstanden sich nicht auf waffenlose asiatische Verteidigungstechnik.
Daraufhin hat mich ihre verehrte Tochter gebeten, sie gestern Morgen zur Arbeit zu begleiten. Wir wurden von einem Auto verfolgt, das sich auf einem mehrspurigen Teilstück neben uns setzte. Der Mann neben dem Fahrer richtete eine Schusswaffe auf Leni. Ich konnte den Mann am Steuer verunsichern, so dass er das Steuer verriss, als sich der Schuss löste. Der Schuss ging ins Leere und der andere Wagen zerschellte an einem der Straßenbäume.
Weitere Verbrecher haben sich während der Arbeitszeit ihrer verehrten Tochter an ihr Auto geschlichen und dort irgendetwas gemacht. Bevor sie möglicherweise eine Autobombe installiert haben und wir auf der Heimfahrt durch eine Explosion getötet worden wären, habe ich ihr geraten, für die Heimfahrt ein Taxi zu rufen und das Bürohaus auf unüblichem Weg über den Hinterausgang zu verlassen.
Nachdem Sie ihr geraten haben, eine Zeitlang Berlin den Rücken zu kehren, habe ich ihr geraten, ihr Wohnhaus über den Hintereingang zu betreten und wieder zu verlassen. Wir haben dann für die Fahrt zum Hauptbahnhof auch wieder ein Taxi benutzt."

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