Montag, 20. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -17
Er rappelt sich auf und folgt mir. Beim Picknick-Korb erreicht er mich. Nun umfasst er meine Schultern von hinten und legt seine Wange an meine. Dabei flüstert er:

"Wie gut du riechst!"

Gemeinsam falten wir die Folie und legen sie oben in den Korb. Hand in Hand gehen wir zur Brücke und über sie zu unserer Ferienwohnung zurück. Ich bereite das Abendessen, das Frau Meyer weitestgehend vorbereitet hat, bevor sie für heute Feierabend gemacht hat. Als wir beim Abendessen sitzen, beichtet mir Ashok, meine Hand haltend:

"Seit dem Tag, als du uns damals verlassen hast, gab es nicht einen einzigen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Deshalb bin ich nach Europa gewandert, als mein Sadhu mich ebenfalls zum Sadhu geweiht hat. Nun, da ich dir wieder nahe bin, schmerzt es sehr. Je näher ich dir bin, desto schlimmer wird es. Bei dem Gedanken, nicht bei dir sein zu können, kann ich nicht atmen. Ich werde verfolgt von dem Kuss, den du mir nie hättest geben sollen, wie du gesagt hast. Mein Herz schlägt schneller, in der Hoffnung, dass dieser Kuss keine Narbe hinterlassen wird."

Während er spricht, rückt er näher an mich heran. Ich winde mich innerlich wie äußerlich. Er sieht es und fragt:

"Was kann ich tun? Ich werde alles tun, worum du mich bittest!"

Ihn offen anschauend, sage ich:
"Du darfst nichts erzwingen wollen, Lieber! Gib der Liebe Zeit zu wachsen. Es ist nicht einfach! Wir leben in einer harten Welt. Du bist ein heiliger Mann, ein Erleuchteter. Ich bin Geschäftsführerin eines Unternehmens der Bankenbranche. Wenn du deine Gedanken ganz zu Ende denkst, dann führen sie uns zu einem Ort, an den wir vielleicht nicht gehen sollten... Unabhängig davon, was wir füreinander empfinden."

"Dann empfindest du genauso?" fragt er.

Meine Miene, mit der ich ihn jetzt ansehe, zeigt meine zwiegespaltene Seele. Er ergänzt:

"Du verlangst von mir, vernünftig zu sein. Das kann ich in deiner Nähe nicht!"

Er schaut mich flehend an. Auch mein Herz flüstert mir zu, mich gehen zu lassen, mich nicht weiter zu sperren.

Ich erhebe mich und schaue ihn gequält an. Ashok ist ebenfalls aufgestanden. Er nähert sich mir und umfasst meine Schultern. Dabei flüstert er mir ins Ohr:

"Du fühlst genauso wie ich. Die gesellschaftlichen Konventionen lassen dich deine Gefühle in einen Käfig sperren. Doch sie wollen frei sein. Sie quälen dich und machen dich mit der Zeit seelig krank. Das darfst du nicht zulassen, Leni! Steh' zu deinen Gefühlen!"

Der nächste Tag ist ein Sonntag. Wir liegen dann normalerweise länger im Bett. Dennoch kommt Frau Meyer zur üblichen Uhrzeit in die Wohnung. Ich erhebe mich, ziehe den flauschigen Bademantel über mein Nachthemd und gehe auf leisen Sohlen in die Küche. Frau Meyer ist schon damit beschäftigt, den heutigen Tag kulinarisch vorzubereiten.

"Einen schönen guten Morgen, Frau Mrachartz," begrüßt sie mich.

"Guten Morgen, Frau Meyer," grüße ich zurück, verlegen lächelnd.

"Sie sind schon sehr früh auf den Beinen heute!" wundert sie sich. "Können Sie nicht gut schlafen?"

"Nein, leider," bestätige ich ihre Vermutung. "Ich denke, ich habe momentan zu viele Dinge im Kopf."
Ich bin froh, jetzt gerade jemanden zu haben, dem ich mein Herz ausschütten kann.

"Machen Sie sich Sorgen um Ihre Arbeit?" fragt sie mitfühlend.

"Ich mache mir Sorgen um Ashok," erkläre ich ihr. "Ich fürchte, ich habe ihn verletzt. So richtig weiß ich es nicht. Vielleicht habe ich mich durch meine Worte aber auch selbst verletzt. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich verwirrt."

"Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich dadurch besser fühlen werden, Frau Mrachartz, aber ich bin auch oft verwirrt, wenn es um andere Menschen geht," meint sie.

"Ich möchte, dass er weiß, dass er mir wichtig ist. Ich sorge mich um ihn," sage ich leise, wie im Selbstgespräch.

"Machen Sie sich keine Sorgen um Herrn Gurun, Frau Mrachartz. Er macht auf mich den Eindruck, dass er sehr gut auf sich selbst aufpassen kann."

Ich bedanke mich für die Aufmunterung und lasse mir das Sonntags-Frühstück auf einem Tablett fertig machen, das ich danach in Ashoks Zimmer trage. Nachdem ich die Tür geöffnet habe, finde ich ihn meditierend auf seinem Bett. Soll ich wirklich alle Konventionen über Bord werfen und mich meinen Gefühlen hingeben?

Bei meinem Näherkommen öffnet Ashok die Augen und schaut mich prüfend an.

"Ich habe hier etwas für dich," sage ich mit sanfter Stimme und frage ihn: "Hast du Hunger?"

"Gern, danke dir," antwortet Ashok und lächelt mich an.

Ich setze mich zu ihm auf das Bett, zwischen uns das Tablett.

"Ich habe es mir überlegt," beginne ich. "Wir sind erwachsen und können über unseren Lebensweg selbst entscheiden. Wenn ich in mich hineinhorche, fühle auch ich tiefe Zuneigung für dich. Ja, auch ich sehne mich inzwischen nach deiner Nähe."

Er schaut mich von der anderen Seite des Tabletts an, als wäre ich ein Geist. Seine Augen beginnen zu strahlen, heller als die Sonne, die durch die Gardine ins Zimmer scheint. Unvermittelt schnellt er mit dem Oberkörper über das Tablett auf mich zu. Er kommt auf dem Tablett zu liegen und wirft mich dabei um.

"Ashok!" rufe ich erschrocken aus und lache.

Er umfasst meinen Nacken und verhindert, dass ich vom Bett herunterrutsche. Es folgt ein langer und inniger Kuss. Etwas atemlos in seinen Armen liegend, fordere ich:

"Versprich mir, dass du die buddhistischen Tugenden weiterhin lebst! Sonst würdest du unsere Liebe zerstören!"

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