Donnerstag, 2. Februar 2023
Aufbruch ins All -82
"Hm, ich will dir einmal eine Geschichte erzählen, Mirco: Der Sohn eines reichen Brahmanen, die im Hinduismus die Oberschicht bilden, hat um 500 vor Christus den Buddhismus gegründet. Chisei Yamamoto-San ist Buddhist und hat uns seine Lebensregeln beigebracht. Wir alle befolgen sie gerne, weil sie den Menschen guttun. 700 Jahre nach Buddhas Eintritt ins Nirwana hat sich eine Anzahl spiritueller Lehrer des Buddhismus von Buddhas Pfad abgewandt und Habgier und Egoismus gepredigt. Sie haben zwei benachbarte Königreiche auf dem indischen Subkontinent gegeneinandergehetzt, um davon zu profitieren. Allerdings wurden sie von rechtgläubigen spirituellen Lehrern besiegt.
Nach so langer Zeit hielten die Menschen die Irrlehre für besiegt, obwohl schon früh im christlichen Kulturraum diese Irrlehre im christlichen Mantel wiederauftauchte. Eine Handvoll Vertreter dieser Irrlehre konnte damals fliehen. Sie blieb lange nur latent vorhanden, bis im frühen 16. Jahrhundert, also vor 1100 Jahren nun, der Dreieckshandel über den Atlantik begonnen wurde: Zuckerrohr nach Europa, veredelte Wirtschaftsgüter und Nahrungsmittel nach Afrika und von dort Sklaven nach Amerika. Das ist gleichzeitig der Beginn des Kapitalismus gewesen. Reichtum, Habgier und Egoismus zeichnet ihn aus.
Vor etwa 200 Jahren entwickelte wieder ein buddhistischer Mönch die Lehre vom Egoismus und Habgier. Er gewann Schüler. Sein Kreis erweiterte sich in die westliche Hemisphäre hinein, wo er natürlich auf fruchtbaren Boden fiel. Die Führungsebene der heutigen Space Ressource Corporation ist dieser Irrlehre komplett verfallen."

"Oh," macht Mirco und schaut mich erschüttert an. "Deshalb also..."

"Ja, und ich denke, diese Irrlehrer haben irgendwo ein ähnliches Zentrum, wie unser Jinja -Schrein- in der Nähe des irdischen Raumhafens. Hinzu kommt noch, dass die Space Ressource Corporation vor über hundert Jahren versucht hat, bei den Raketentreibstoffen eine Monopolstellung zu erlangen. Unsere betroffene Sponsorfirma hat Vorverhandlungen aufgenommen und für die Vertragsunterzeichnung einen Chisei zur Ceres gesandt. Es hat sogenannte 'aggressive Verhandlungen' gegeben, in deren Verlauf der Chisei ermordet wurde und sein Raumschiff auf der Suche nach technischen Neuheiten auseinandergenommen worden ist."

"Halt!" antwortet Mirco und schaut mich unsicher an. "Was bedeutet 'aggressive Verhandlungen'?"

Ich zeige ein schmerzliches Grinsen und erkläre ihm:
"Der Chisei ist von einem Mitglied des Direktoriums der Corporation mit einem Degen empfangen worden. Er meinte, sie sollten den Vertrag mit dem Degen ausfechten. Der Gegner hatte einige Gewichte am Gürtel, so dass ihm die geringe Schwerkraft von nur drei Prozent der Irdischen nichts ausmachte. Dadurch war er im Vorteil und der Chisei kurz darauf tot.
Im gleichen Moment hatte der Saiko Chisei auf der Erde eine Vision. Der verstorbene Chisei hatte Verbindung mit Reiki und ist in der Lebenskraft aufgegangen, jedoch ohne sein Bewusstsein zu verlieren. So konnte er dem Saiko Chisei erscheinen und ihn warnen."

Mirco hat mir mit erschreckter Miene und immer größeren Augen zugehört. Nun fragt er nach:

"Woher weißt du denn das?"

Ich zucke die Schultern und berichte ihm:
"Das 'Tagebuch der Wünsche' hat mich nach den Erzählungen von Meisterin Dubois so fasziniert, dass ich an dem Abend lange keinen Schlaf finden konnte. Also habe ich über mein Tablet auf die Datenbank zugegriffen. Dabei bin ich auf diese Episode gestoßen."

Mirco schüttelt stumm den Kopf. Erst nach einer Weile flüstert er:

"Dass die Gegenseite nicht einmal vor verbrecherischen Maßnahmen zurückschreckt..."

Ich antworte darauf nur:
"Du kennst ja ihre Philosophie..."

*

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Montag, 30. Januar 2023
Aufbruch ins All -81
Im selben Augenblick huschen Buchstaben über den Bildschirm.

'So kommen wir nicht weiter!' denke ich und sage "Stop!".

Sofort bleibt die Liste stehen und zeigt 40 Videotitel untereinander. Grinsend wende ich mich an Mirco.

"Du kannst es immer so machen, und einen der angezeigten Titel auswählen zum Anschauen. Du kannst auch einen angezeigten Titel markieren und die Liste weiterlaufen lassen, bis du wieder irgendwo 'Stop!' sagst, und so weiter. Du kannst auch systematischer vorgehen und dir Titel nach Alphabet zum Auswählen anzeigen lassen. Oder du erinnerst dich an ein gesehenes Video und forderst die KI einfach auf, das Video anzuzeigen. Ist es im Speicher, kannst du dein Video schauen. Das Gleiche gilt übrigens auch für Tonträger."

"Ah," meint Mirco.

Er lässt eine halblaute Hintergrundmusik abspielen und studiert nun die Betriebsanleitungen. So vergehen die fast fünf Wochen Flugzeit. Mirco probiert die Messgeräte an Bord aus. Wir bestellen bei der Künstlichen Intelligenz unsere Mahlzeiten und entnehmen sie fertig zubereitet der Ausgabe. In der freien Zeit schaut er sich Videos an.

Ich selbst verbringe meine Freizeit ein wenig anders. Mirco findet mich oft meditierend. Ich will immer schneller in die tiefe Meditation kommen und mit Reiki in Verbindung treten. Der Artikel über Chisei Liam O’Ceallaigh lässt mich nicht los. Der Mann ist vor über hundert Jahren gestorben. Daher werde ich ihn selbst wohl nicht mehr kennenlernen. Aber die Möglichkeit in Reiki aufzugehen, dabei sein Bewusstsein zu behalten und sich den Lebenden noch mitteilen zu können, ist faszinierend.

Zwischendurch fragt mich Mirco einmal:
"Warum hast du eigentlich der Automatik als Zielort den Mars angegeben?"

Ich zucke die Schultern und antworte ihm darauf ehrlich:

"Das hat sich so ergeben. Ich musste eine schnelle Entscheidung treffen. Bevor ich dem Archiv auf der Erde irgendwelche Ergebnisse funke, wollte ich das Raumschiff besser kennenlernen. Man kann sich ja viel anlesen, aber die direkte Beschäftigung damit, ist durch nichts zu ersetzen!
Wohin sollte ich also fliegen? Zum Mond hätte ich für die reine Entfernung nur anderthalb Stunden gebraucht. In der Zeit wären wir noch nicht tief in die Materie eingedrungen. Zur Venus? Das böte sich an. Schließlich stammen wir von da. Aber ich wollte die Gegenseite nicht aufmerksam werden lassen. Also der Mars. Nun ist der Mars gerade nicht in Konjunktion zur Erde. Er steht weiter weg, um nicht zu sagen, auf einem sehr weit entfernten Bahnpunkt. Daher die lange Flugzeit."

"Okay, aber der Mars hat sich vor langer Zeit von der Erde losgesagt. Ich weiß nicht, ob wir da willkommen sind."

"Die Automatik wird uns in eine weite Umlaufbahn einschwenken," meine ich. "Wir müssen ja keinen Kontakt zu den Leuten auf dem Mars aufnehmen. In der Umlaufbahn haben wir Zeit genug, uns unser nächstes Ziel auszusuchen."

"Das stimmt wohl," antwortet Mirco und widmet sich wieder seinen Geräten.

"Hinzu kommt noch," ergänze ich nach einer Weile der Stille, "dass die Marsianer sich von der Prospektoren-Gesellschaft Mars Ressource Corporation losgesagt haben, die den Mars bis dahin quasi als ihr Eigentum betrachtet hat. Es hat eine regelrechte Revolution gegeben, in deren Folge sich die Firma zurückgezogen hat und seitdem unter dem Namen 'Space Ressource Corporation' die Kleinplaneten Ceres und Vesta im Asteroidengürtel ausbeutet. Die dorthin entsandten Mannschaften sind klein. Von ihnen wird kaum ein Aufstand angezettelt werden. Sie sind von den Nachschublieferungen ihrer Firma abhängig!"

"Auf der Venus ist die 'Space Ressource Corporation' inzwischen auch aktiv!" hält mir Mirco vor.

"Ich weiß," stelle ich lächelnd fest. "Die Fechtschule meines damaligen Turniergegners wird von ihr gesponsert."

"Ist das der Grund, weshalb du so große Zurückhaltung an den Tag legst, wenn nicht gar Vorsicht, wenn von der Space Ressource Corporation die Rede ist?"

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Freitag, 27. Januar 2023
Aufbruch ins All -80
"'Noch nicht', heißt, dass die Wissenschaftler daran arbeiten?" fragt Mirco zurück.

"Es wird geforscht, ja, aber die Lichtgeschwindigkeit stellt doch eine sehr hohe Hürde da. So etwas wie 'Wurmlöcher' müssen auch erst einmal gefunden und beherrscht werden, wenn es sie denn überhaupt gibt! Ich denke, damit sind die Wissenschaftler noch Jahrhunderte beschäftigt," gebe ich zurück.

"Was machen wir in den fünf Wochen bis zum Mars?" kommt er nun auf das Nächstliegende.

"Wir schauen uns die Instrumente an Bord an, besonders die zur Planetenerkundung. Wir lesen die Bedienungsanleitungen durch und schalten sie auf Probebetrieb. Dann lassen wir uns von 'Delta' zeigen, was wir damit aus der Umlaufbahn eines Planeten oder nach einer Landung machen können. Wir lernen also!"

"Okay," meint Mirco nun. "Ich bin aber auch neugierig darauf, was es hier an Bord so alles gibt, außer Tanks, Triebwerke, Fusionsreaktor, Warp-Antrieb und Pilotenkanzel."

Ich muss grinsen. Ein Fernaufklärer ist darauf ausgelegt, wochen- und monatelang von jeder menschlichen Ansiedlung entfernt zu operieren. Also wird es so etwas wie eine Wohnung an Bord geben.

"Delta-8a!" sage ich nun.

"Kommandant?" kommt es zurück.

"Du wirst jedem Hindernis ausweichen! Berechne dazu die Bahnen der Körper um uns herum. Trotzdem wirst du mich vor jedem Ausweichmanöver benachrichtigen."

"Wird erledigt, Kommandant!" sagt die Stimme.

Nun schnalle ich mich los und erhebe mich aus dem Kontursessel. Ich drehe mich zu Mirco um und meine lächelnd:

"Dann komm! Wir erkunden unser Raumschiff."

Wir verlassen die Pilotenkanzel in gebückter Haltung, da sie keine Stehhöhe bietet. Dahinter liegt der Raum, den wir als erstes betreten haben, als wir über die Rampe in den Fernaufklärer gekommen sind. Hier befinden sich noch unsere Taschen, die wir in die abschließbaren Fächer an der einen Seitenwand geschoben haben.

Ich nehme meine Tasche und gehe in den nächsten Raum dahinter. Mirco folgt mir mit seiner Tasche in der Hand. Wir erreichen eine Kabine mit zwei Etagenbetten und Schubladenschränken, in die wir nun unsere Sachen verstauen. Zwei Liegen, an deren Enden Raumanzüge befestigt sind, befähigen uns, schnell in diese hermetisch abgeschlossenen Anzüge zu kriechen. Dann finden wir hier noch zwei bequeme verstellbare Sessel, einen Tisch und einen großen Bildschirm, der sich bei unserem Eintreten eingeschaltet hat. Zwei Türen führen in weitere Räume dahinter. Wir schauen nach und erkennen eine schmale Kombüse und eine enge Sanitärzelle.

Mirco schaut in die Kombüse und stellt fest:
"Was fehlt, ist ein Vorratsschrank und ein geräumiger Kühlschrank mit Lebensmitteln für Monate im Voraus."

"Das Lager befindet sich dahinter," erkläre ich. "Wähle ein Menü und die Automatik stellt es dir her. Du brauchst es nur noch essen!"

Er macht große Augen bei meiner Erklärung und äußert nur ein "Ah!"

Dann zeigt er auf den Bildschirm und fragt mich:
"Was können wir darüber alles empfangen?"

"Nun," meine ich. "Ich denke, es ist alles genauso, wie du es von der Venus gewohnt bist. Nur halt mit dem Unterschied, dass die KI das, was du wünschst, auch in ihrem Speicher vorrätig haben muss. Ich denke nicht, dass wir auf Venus Broadcast zugreifen können, oder dem der Erde. Das Anfordern und Übermitteln wird zu lange dauern."

"Hm," macht Mirco mit zweifelndem Gesicht.

Darüber muss ich lachen. Ich klopfe ihm sanft auf die Schulter und antworte:

"Dir behagt nicht, dass hier alles von der Künstlichen Intelligenz abhängt. Warte etwas, du wirst sehen, dass du dich bald daran gewöhnt hast und die KI virtuos bedienst. Schau mir einfach zu."

Damit wende ich mich dem Bildschirm zu und sage in die Luft:

"Delta-8a, zeige mir eine Liste der Videos im Speicher!"

"Sofort, Kommandant!" ertönt es aus einem verborgenen Lautsprecher.

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