Freitag, 9. September 2022
Aufbruch ins All -34
"Okay," antwortet mein Cousin hinter mir.

Also wende ich mich wieder an die Steuerung:
"Delta-8a! Bring uns in eine weite Umlaufbahn um den Mars."

Nun zündet der Fusionsreaktor im hinteren unteren Bereich des Raumfahrzeuges. Die Fenster verdunkeln sich.

"Was passiert jetzt?" fragt Mirco.

"Vor die Fenster haben sich jetzt Platten geschoben, aus dem gleichen Material, aus dem die Außenhaut besteht. Wenn der Fusionsreaktor hochgefahren ist, schaltet sich der Warp-Antrieb ein. Er braucht fast die ganze bereitgestellte Energie," erkläre ich.

"Der Warp-Antrieb... Darüber hört man immer wieder irgendwelche Gerüchte. Wie funktioniert der?"

"Man kennt ihn seit etwa 700 Jahren theoretisch. Er erzeugt hinter dem Raumfahrzeug eine 'Welle' in der Raumzeit. Stell' dir die Raumzeit wie ein Gummituch vor. Körper mit starker Gravitation erzeugen Dellen im Gummituch.
Mit der Energie unseres Fusionsreaktors zieht sich die Raumzeit vor uns in die Länge und wölbt sie hinter uns zu einer Art 'Welle' auf. Auf dieser Welle 'surft' das Raumschiff und bewegt sich dadurch schneller vorwärts. Auch unsere Treibstofftanks werden geschont.
Im Raumschiff selbst spürt man davon nichts, als befänden wir uns in einer 'Blase'. Wir haben wie beim permanent brennenden Ionenantrieb eine Art 'Gravitation' an Bord. Schneller als das Licht sind wir dabei noch nicht. Interstellare Raumfahrt ist uns also noch nicht möglich!"

"'Noch nicht', heißt, dass die Wissenschaftler daran arbeiten?" fragt Mirco zurück.

"Es wird geforscht, ja, aber die Lichtgeschwindigkeit stellt doch eine sehr hohe Hürde da. So etwas wie 'Wurmlöcher' müssen auch erst einmal gefunden und beherrscht werden! Ich denke, das dauert noch Jahrhunderte," gebe ich zurück.

"Was machen wir in den fünf Wochen bis zum Mars?" kommt er auf das Nächstliegende.

"Wir schauen uns die Instrumente an Bord an, besonders die zur Planetenerkundung. Wir lesen die Bedienungsanleitungen durch und schalten sie auf Probebetrieb. Dann lassen wir uns von 'Delta' zeigen, was wir damit aus der Umlaufbahn eines Planeten oder nach einer Landung machen können. Wir lernen also!"

"Okay," meint Mirco nun. "Ich bin aber auch neugierig darauf, was es hier an Bord so alles gibt, außer Tanks, Triebwerke, Fusionsreaktor, Warp-Antrieb und Pilotenkanzel."

Ich muss grinsen. Ein Fernaufklärer ist darauf ausgelegt, wochen- und monatelang von jeder menschlichen Ansiedlung entfernt zu operieren. Also wird es so etwas wie eine Wohnung an Bord geben.

"Delta-8a!" sage ich nun.

"Kommandant?" kommt es zurück.

"Du wirst jedem Hindernis ausweichen! Berechne dazu die Bahnen der Körper um uns herum. Trotzdem wirst du mich vor jedem Ausweichmanöver benachrichtigen."

"Wird erledigt, Kommandant!" sagt die Stimme.

Nun schnalle ich mich los und erhebe mich aus dem Kontursessel. Ich drehe mich zu Mirco um und meine lächelnd:

"Dann komm! Wir erkunden unser Raumschiff."

Wir verlassen die Pilotenkanzel in gebückter Haltung, da sie keine Stehhöhe bietet. Dahinter liegt der Raum, den wir als erstes betreten haben, als wir über die Rampe in den Fernaufklärer gekommen sind. Hier befinden sich noch unsere Taschen, die wir in die abschließbaren Fächer an der einen Seitenwand geschoben haben.

Ich nehme meine Tasche und gehe in den nächsten Raum dahinter. Mirco folgt mir mit seiner Tasche in der Hand. Wir erreichen eine Kabine mit zwei Etagenbetten und Schubladenschränken, in die wir nun unsere Sachen verstauen. Zwei Liegen, an deren Enden Raumanzüge befestigt sind, befähigen uns, schnell in diese hermetisch abgeschlossenen Anzüge zu kriechen. Dann finden wir hier noch zwei Sessel, einen Tisch und einen großen Bildschirm, der sich bei unserem Eintritt eingeschaltet hat. Zwei Türen führen in weitere Räume dahinter. Es ist eine schmale Kombüse und eine enge Sanitärzelle.

Mirco schaut dort hinein und stellt fest:
"Was fehlt, ist ein Vorratsschrank und ein geräumiger Kühlschrank mit Lebensmitteln für Monate im Voraus."

"Das Lager befindet sich dahinter," sage ich. "Wähle ein Menü und die Automatik stellt es dir her. Du brauchst nur noch essen!"

Er macht große Augen bei meiner Erklärung und äußert nur ein "Ah!"

*

Wir verbringen die gemäß irdischer Zeitrechnung fünf Wochen andauernde Flugzeit damit, unser Raumfahrzeug näher kennenzulernen. Es wird wahrscheinlich für Jahre gleichzeitig unser Zuhause sein, wie auch unsere Arbeitsstätte.

Mirco fragt mich zwischendurch einmal:
"Warum hast du eigentlich der Automatik als Zielort den Mars angegeben?"

Ich habe die Schultern gezuckt und ihm darauf ehrlich geantwortet:

"Das hat sich so ergeben. Ich musste eine schnelle Entscheidung treffen. Bevor ich dem Archiv auf der Erde irgendwelche Ergebnisse funke, wollte ich das Raumschiff besser kennenlernen. Man kann sich ja viel anlesen, aber die direkte Beschäftigung damit, ist durch nichts zu ersetzen!
Wohin sollte ich also fliegen? Zum Mond hätte ich für die reine Entfernung nur anderthalb Stunden gebraucht. In der Zeit wären wir noch nicht tief in die Materie eingedrungen. Zur Venus? Das böte sich an. Schließlich stammen wir von da. Aber ich wollte die Gegenseite nicht aufmerksam werden lassen. Also der Mars. Nun ist der Mars gerade nicht in Konjunktion zur Erde. Er steht weiter weg, um nicht zu sagen, auf einem sehr weit entfernten Bahnpunkt. Daher die lange Flugzeit."

"Okay, aber der Mars hat sich vor langer Zeit von der Erde losgesagt. Ich weiß nicht, ob wir da willkommen sind."

"Die Automatik wird in eine weite Umlaufbahn einschwenken," meine ich. "Wir müssen ja keinen Kontakt zu den Leuten auf dem Mars aufnehmen. In der Umlaufbahn haben wir Zeit genug, uns unser nächstes Ziel auszusuchen."

"Das stimmt wohl," antwortet er und widmet sich wieder seinen Geräten.

"Hinzu kommt noch," ergänze ich nach einer Weile der Stille, "dass die Marsianer sich von der Prospektoren-Gesellschaft Mars Ressource Corporation losgesagt haben, die den Mars bis dahin als ihr Eigentum betrachtet hat. Es hat eine regelrechte Revolution gegeben, in deren Folge sich die Firma zurückgezogen hat und seitdem unter dem Namen 'Space Ressource Corporation' die Kleinplaneten Ceres und Vesta im Asteroidengürtel ausbeutet. Die dorthin gesandten Mannschaften sind klein. Von ihnen wird kaum ein Aufstand angezettelt werden. Sie sind von den Nachschublieferungen ihrer Firma abhängig!"

"Auf der Venus ist die 'Space Ressource Corporation' auch aktiv!" hält mir Mirco vor.

"Ich weiß," stelle ich lächelnd fest. "Die Fechtschule meines damaligen Turniergegners wird von ihr gesponsert."

"Ist das der Grund, weshalb du so große Zurückhaltung an den Tag legst, wenn nicht gar Vorsicht, wenn von der 'Space Ressource Corporation' die Rede ist?"

"Hm, ich will dir einmal eine Geschichte erzählen, Mirco: Der Sohn eines reichen Brahmanen, die im Hinduismus die Oberschicht bilden, hat um 500 vor Christus den Buddhismus gegründet. Chisei Yamamoto-San ist Buddhist und hat uns seine Lebensregeln beigebracht. Wir alle befolgen sie gerne, weil sie den Menschen guttun. 700 Jahre nach Buddhas Eintritt ins Nirwana hat sich eine Anzahl spiritueller Lehrer des Buddhismus von Buddhas Pfad abgewandt und Habgier und Egoismus gepredigt. Sie haben zwei benachbarte Königreiche auf dem indischen Subkontinent gegeneinandergehetzt, um davon zu profitieren. Allerdings wurden sie von rechtgläubigen spirituellen Lehrern besiegt.
Nach so langer Zeit hielten die Menschen die Irrlehre für besiegt, obwohl schon früh im christlichen Kulturraum diese Irrlehre im christlichen Mantel wiederauftauchte. Eine Handvoll Vertreter dieser Irrlehre konnte damals fliehen. Sie blieb lange nur latent vorhanden, bis im frühen 16. Jahrhundert, also vor 1100 Jahren nun, der Dreieckshandel über den Atlantik begonnen wurde: Zuckerrohr nach Europa, veredelte Wirtschaftsgüter und Nahrungsmittel nach Afrika und von dort Sklaven nach Amerika. Das ist gleichzeitig der Beginn des Kapitalismus gewesen. Reichtum, Habgier und Egoismus zeichnet ihn aus.
Vor etwa 200 Jahren entwickelte wieder ein buddhistischer Mönch die Lehre vom Egoismus und Habgier. Er gewann Schüler. Sein Kreis erweiterte sich in die westliche Hemisphäre hinein, wo er natürlich auf fruchtbaren Boden fiel. Die Führungsebene der heutigen Space Ressource Corporation ist dieser Irrlehre komplett verfallen."

... link (0 Kommentare)   ... comment