Mittwoch, 31. August 2022
Aufbruch ins All -31
Diese kurze Ansprache habe ich nun schon oft vernommen. Sie leitet die nun folgenden Ehrungen ein. Der Chisei steigert die Spannung mit einer kleinen Pause. Dann lässt er sein Nebenmann einen der Okuden -Meister- vortreten. Er lobt ihn vor allen Anwesenden und überreicht ihm den langen Mantel mit dem Emblem der Schule auf der Herzseite, der ihn innerhalb der Schule als Chisei kenntlich macht. Danach darf er sich zu den anderen Chisei setzen.

Ein anderer Chisei ruft jetzt fünf Chuhden -Fortgeschrittene- auf, denen er je eine Mütze mit dem Emblem der Schule überreicht, so wie ich sie auch seit 6 Monaten tragen darf. Er bedankt sich bei den Männern für ihr Engagement für die Ideale der Schule, dann lassen sie sich bei den Okuden -Meistern- nieder.

Nachdem sich die entstandene Unruhe im Saal wieder gelegt hat, lächelt uns der Chisei neben ihm an, bedankt sich bei den Shoden -Anfängern- für ihre Bemühungen in den Kursen und fordert sie auf, sich weiterhin anzustrengen. Etwa ein Viertel der Schüler ruft er namentlich auf. Sie treten nacheinander vor und erhalten von ihm eine neue Schulkleidung, die sie von heute an als Fortgeschrittene ausweist. Unter ihnen ist auch Mirco. Das freut mich sehr.

Nachdem alle Mitglieder der Schule wieder ihre Plätze eingenommen haben, spricht Master Yamamoto uns Okuden an und fordert diejenigen von uns auf, die noch keinen eigenen Schüler haben, sich in den nächsten Tagen im Einvernehmen mit den Chisei jemanden aus dem Kreis der Chuhden auszuwählen.

Anschließend erklärt Master Yamamoto die Veranstaltung für beendet und fordert uns auf, in die Shokudou -Mensa- der Schule zu gehen, um den heutigen Tag ein wenig zu feiern. Wir holen dort unsere Schalen an der Essensausgabe ab, setzen uns an freie Plätze und beginnen zu essen. Master Clark bemerkt dabei, spitzbübisch lächelnd:

"Nun darfst du dir einen eigenen Schüler wählen, Meister Florian. Ich würde an deiner Stelle zu den Chisei gehen und für Mirco aus deiner Familie sprechen."

"Ist das denn nicht unüblich?" frage ich mit Falten auf der Stirn zurück. "Mein Urteil könnte durch die familiäre Bindung getrübt werden. Ich könnte nicht objektiv genug sein."

"Dein Cousin hat Vermessungstechnik und Geologie studiert, neben den üblichen Fächern der Schule. Er wird in seinen Meditationen nie bis zu Reiki -Lebenskraft, die alles durchdringt- vordringen können. Dazu fehlt ihm die Sensitivität. Also wird er fremde Welten kartographieren und ihre Geologie herausfinden. Sein Wissen wird unser Archiv auf der Erde erweitern und unser Wissen vermehren.
Allerdings wird er nicht alleine zu solchen Expeditionen gesandt. Ein Meister wird ihn begleiten und über ihn wachen, denn diese Leute sind wertvoll!"

"Ah, und du meinst, dass ich der beste Bodyguard für ihn bin?"

Master Clark lacht kurz auf, schlägt mir sanft auf die Schulter und bestätigt:

"Ja, ihr Beide könnt gemeinsam viel erreichen!"

"Okay," antworte ich. "Ich will mal schauen, ob sich die Chisei dieser Argumentationskette anschließen können."

Ich gehe am nächsten Vormittag hinauf in die oberste Etage und verharre vor dem Portal, das von zwei Robotern in goldfarbener Rüstung flankiert wird. Dort werde ich nach dem Grund meiner Anwesenheit gefragt.

"Ich möchte mir einen Schüler erwählen," erwidere ich.

Die beiden Flügel des Portals fahren zur Seite. Die Männer im Inneren des Raumes wenden sich zu mir um. Beherzt trete ich vor und werde sogleich von Master Yamamoto angesprochen. Ich erkläre ihm mein Anliegen. Er holt Mircos und meine Personalakte auf den großen Bildschirm und fragt die anwesenden Chisei reihum nach ihrer Meinung. Dann lässt er abstimmen und gibt abschließend sein Einverständnis.

Nachdem ich den Rat der Chisei verlassen habe, wende ich mich sofort zu Mircos Zimmer. Dort spreche ich in den Schließmechanismus, der mir sofort die Tür öffnet. Ich habe bald herausgefunden gehabt, wie Master Clark damals mein Zimmer betreten hat. Die Okuden -Meister- sind autorisiert die Räume der Schüler jederzeit zu betreten.

Mirco wendet sich bei meinem Eintritt um und lächelt mich an. Ich grüße ihn und eröffne ihm die Neuigkeit:

"Hallo Mirco! Ich komme gerade von den Chisei. Als Okuden darf ich mir ja einen Chuhden als Schüler auswählen. Ich habe im Rat darum gebeten, dein Meister sein zu dürfen, und man hat meinem Wunsch entsprochen. Deshalb bin ich nun auf direktem Weg zu dir gekommen, um dich zu fragen: Möchtest du auch mein Schüler werden?"

"Ich habe mich gefreut, nach meinem Studium den Status eines Fortgeschrittenen bekommen zu haben," antwortet er mir lächelnd. "Aber was bedeutet es jetzt, statt der Fortgeschrittenen-Kurse Schüler eines Meisters zu werden?"

"Die Chisei haben Großes mit dir vor," sage ich und nicke ihm zu. "Ihr Archiv auf der Erde will mit Informationen gefüttert werden. Du hast die Kenntnisse, die es dazu braucht, und ich bringe dich überall hin. Es werden immer zwei Personen zu Expeditionen gesandt!"

"Okay," meint er und grinst mich an. "Wir werden als Team unschlagbar sein!"

Anschließend verlasse ich sein Zimmer und gehe auf Meines. Dort rufe ich den Terminkalender der Expeditionen auf den Bildschirm und informiere mich, wann und wie es losgehen soll.

*

Am Abreisetag treffe ich mich mit Mirco und begebe mich mit ihm zu den Andockplätzen der Luftschiffe unter Ishtar City. Einige wenige Docking-Stationen sind für den Transfer zur Orbitalstation vorgesehen. Mit uns sitzen noch zwölf weitere Fluggäste im Abflugbereich. In einer Stunde wird unser Raumschiff ankommen.
Nachdem wir die Formalitäten erledigt haben, sage ich zu meinem Cousin:

"Komm, setzen wir uns hinten in die Sessel und warten."

Er nickt und wir nähern uns den Sitzgelegenheiten, um uns dort zwischen den anderen Wartenden niederzulassen. Eine Kellnerin fragt, ob wir etwas trinken möchten. Wir lehnen höflich ab. Andere Gäste folgen unserem Beispiel. Es ist nicht gut, während der Beschleunigungsphase etwas im Magen zu haben. Ich beginne stattdessen eine Meditation und nehme mit Reiki Verbindung auf. Unter den Anwesenden, ob sie nun auf den Abflug warten oder nicht, befindet sich glücklicherweise niemand von der 'Konkurrenz'. Es wäre gut, wenn ihnen unsere Reise nicht offenbar wird.

Dann dockt unser Raumschiff an. Wir steigen in einen ausfahrbaren Aufzug, der uns durch den Tunnel im Auftriebskörper nach unten in das Fluggerät bringt. Im Raumschiff angekommen werden wir von Flugbegleiterinnen begrüßt und zu unseren Kontursesseln geführt. Sie erklären uns das Anlegen der Gurte und ich kann sehen, dass sie sich nach dem letzten Passagier ebenfalls anschnallen.

Kurz darauf wird der Kontakt zu Ishtar City gelöst und wir schweben unter der Stadt hervor. Plötzlich spüre ich mich tiefer in den Sitz gedrückt. Auf dem kleinen Bildschirm in der Rückenlehne vor uns wird der Flug in seinen Phasen für Neulinge erklärt. So sehe ich, dass unter dem Shuttle Raketen gezündet worden sind, die den Auftrieb übernehmen, während der Auftriebskörper in sich zusammenfällt.

Die Stimme des Kommentators erklärt dazu, dass das Gas im Auftriebskörper in Tanks gesaugt wird, weil das Shuttle sonst der Venusatmosphäre eine zu große Angriffsfläche bieten würde. Bei höheren Geschwindigkeiten würde der Auftriebskörper abgerissen werden und damit auch das Raumschiff beschädigen.

Als dann der Auftriebskörper auf dem Rücken des Raumschiffes verschwunden ist, werden die Marschtriebwerke nach einer Vorwarnung gezündet. Die nach unten gerichteten Düsen geben keinen Flammenstrahl mehr ab. Nun werden wir alle gegen die Rückenlehnen gepresst. Nach kurzer Zeit empfängt uns draußen die Schwärze des Weltraums.

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