Sonntag, 28. August 2022
Aufbruch ins All -30
"Das ist schwierig, dir auf den Kopf zuzusagen, Mirco. Zäumen wir das Pferd von hinten auf: Ich würde dir NICHT raten, eine Ausbildung bei der Space Ressource Corporation anzustreben. Das sind Prospektoren. Sie bauen Bodenschätze ab und verkaufen sie an weiterverarbeitende Unternehmen. Sie bieten dafür natürlich ein breites Spektrum von Berufen an..."

"Da findet sich doch sicher auch etwas für mich," meint er.

"Hm," mache nun ich. "Wo würdest du dich in dem Spektrum denn verordnen wollen?"

"Wenn ich Pilot werde, käme ich viel herum im inneren Sonnensystem. Ich würde Rohstoffe aus dem Asteroidengürtel zur Erde transportieren und Mannschaften zu und von den Minen zur Erde fliegen."

"Das wird dir bald zur Routine, wie die Zugführer auf der Erde, als sie noch nicht automatisiert fuhren. Es gibt inzwischen Autopiloten, die alles Fliegerische übernehmen. Du musst nur noch im Notfall einzugreifen verstehen. Das kann mit der Zeit ganz schön ermüdend sein, wenn alles routinemäßig läuft und du lange nichts tun brauchst, außer die Kontrollen beobachten."

"Du meinst also, ich soll ein Studium aufnehmen und danach als Wissenschaftler Standorte für neue Minen suchen?"

"Oh, da gibt es noch mehr! Als Physiker könntest du die Grundlagen für verbesserte Warp-Antriebe schaffen. Als Ingenieur könntest du beim Bau behilflich sein und technische Probleme aus der Welt schaffen..."

"Wenn ich ehrlich sein soll, würde ich lieber Raumschiffe fliegen. Aber nicht in der Routine hängen bleiben..."

"Du kennst diese Computerspiele, in denen Raumfahrer unbekannte Welten anfliegen und dabei verschiedene Probleme lösen müssen?"

"Ja!" bestätigt Mirco. Seine Augen leuchten.

"Du weißt aber auch, dass diese Computerspiele nicht mit der Wirklichkeit vergleichbar sind? Natürlich musst du als echter Pilot genau diese Probleme auch lösen, aber dazwischen passiert tagelang nichts. Dein Aufmerksamkeitslevel sinkt und das ist im All sehr gefährlich! Bei einem Computerspiel ist dein Adrenalinspiegel ständig hoch."

"Aber es gibt doch Assistenzsysteme, die mich rechtzeitig auf eine Gefahr, wie ein Meteoritenschwarm aufmerksam machen!" argumentiert er dagegen.

"Ja, die gibt es!" gebe ich ihm Recht. "Aber was nützen die, wenn du gerade eingenickt bist, weil tagelang nichts passiert ist. Bis du dann wieder soviel Adrenalin in deinen Adern hast, ist es zu spät. Dein Raumschiff wurde durchlöchert!"

Mirco versinkt nun in Grübelei. Ich lasse ihn eine Zeitlang nachdenken, dann frage ich:

"Traust du dir ein Studium zu? Zum Beispiel im Ernährungssektor. Zeige den Leuten neue Nahrungsquellen auf..."

"Ist das denn nicht auch ein langweiliger Job?"

"Das kann es sein! Jeder Job kennt solche Phasen. Aber wenn du es schaffst, Pflanzen von der Erde für die Ernährung im Weltraum oder auf anderen Planeten zu züchten? Sie müssen ja für den menschlichen Metabolismus verträglich sein... Oder Wirkstoffe für neue Medikamente und Salben zu finden, die dann produziert werden können... Wäre das nicht interessant?"

"Das stimmt schon," bestätigt er. "Aber das ist so ein weites Spektrum an Möglichkeiten! Wie soll ich mich da entscheiden? Nicht dass ich die Entscheidung irgendwann bereue..."

"Dann machst du eben irgendetwas anderes! Wenn du eine aktuelle Entscheidung später bereust, musst du natürlich eine Alternative zur Hand haben."

"Zu welcher Entscheidung rätst du mir?" fragt er mich nun und schaut mich erwartungsvoll an.

"Was für einen Sport hast du in den vergangenen Jahren betrieben?" frage ich zurück.

"In den ersten Schuljahren bin ich oft gemobbt worden. Das hat sich erst gelegt, als ich Capoeira gemacht habe."

"Das ist ein Mittelding aus Tanz und Verteidigungstechnik," resümiere ich.

"Ja, was du da im Club gezeigt hast, sah so ähnlich aus!" meint er.

"Okay, und was hältst du von der buddhistischen Lebensphilosophie und Meditation?" frage ich weiter.

"Über den Buddhismus und die anderen Weltreligionen haben wir in der Schule etwas gelernt," meint er.

"Und was hältst du nun davon?" lasse ich nicht locker.

"Vom Buddhismus?" fragt er nach.

Ich nicke.

"Er predigt das Mitgefühl mit den Mitmenschen und die Gelassenheit bei Schicksalsschlägen. Wenn ich mich an das Mobbing früher erinnere, ist das genau die falsche Lebensphilosophie!" sagt er und schaut mich an.

"Nuuuun," dehne ich. "Was sagst du, wenn ich dir berichte, dass ich in der Fechtschule, der ich seit ein paar Jahren angehöre, den Buddhismus kennen und leben gelernt habe. Niemand verlangt von dir, dich nicht zu verteidigen, wenn du angegriffen wirst. Auch darfst du dazwischengehen, wenn jemand anderer angegriffen wird, und ihn verteidigen. Du darfst nur nicht selbst angreifen!
Um uns verteidigen zu können haben wir Ju-Jutsu gelernt. Das ist eine schnell erlernbare Verteidigungstechnik aus dem irdischen Ostasien. Um zur Ruhe zu kommen und unsere Gedanken zu sortieren, haben wir Meditieren gelernt.
Die Schule wird von einigen kleineren Firmen gesponsert, denen sie neue Mitarbeiter zuführt, je nach Interesse der Schüler. Du hättest als Schüler der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- also Zeit, dich zu orientieren und deinen zukünftigen Beruf, sowie die Firma, in Ruhe auszuwählen."

"Wer sind denn eure Sponsoren?" fragt Mirco interessiert.

"Da wären das Lunar Reparaturdock, die Tanaka Accutronics, die Warp Forschung Laboratories, die Biotech Industries Ltd., Earth Pharmaceuticals Company, die Lunar Ship Systems, die Genetech Corporation, das Yamamoto Design Collective. Hoffentlich habe ich keine vergessen."

"Das ist aber schon eine ganze Menge," antwortet er erstaunt.

"Und sie freuen sich über jeden neuen Mitarbeiter, der von der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- kommt," sage ich.

"Und in der Zeit auf der Schule lerne ich was?" fragt er noch einmal nach.

Ich merke, 'der Fisch zappelt an der Angel'. Mit Rücksicht auf meine Eltern erwähne ich das Fechten nicht. Ich fasse noch einmal zusammen:

"Ich habe ja eben davon gesprochen: Du erlernst Ju-Jutsu und das Meditieren. Dazwischen erfährst du von den Lebensregeln des Buddhismus. Du lernst friedfertig zu sein, dich aber zu verteidigen, wenn nötig!"

"Und Fechten!" ergänzt er. "Dafür ist es ja eine Fechtschule, die sich mit anderen Schulen auf Turnieren misst."

"Das ist gewissermaßen ihr Aushängeschild," gebe ich zu. "Aber wer das nicht schafft, der braucht die Schule nicht verlassen! Derjenige erhält andere Wege aufgezeigt."

Ich habe nun nicht gesagt, was der Schüler nicht schafft, denn ich möchte hier nicht von Reiki -Lebenskraft, die alles durchdringt- reden. Dafür ist der Nachmittag bei meinen Eltern nicht der richtige Ort, meiner Meinung nach.

"Also, wer sich beim Fechten ungeschickt anstellt, dem wird ein verstärktes Training von Ju-Jutsu empfohlen?" fragt Mirco nach.

Ich lächele und nehme mich als Beispiel:
"Zum Beispiel! Ich habe ja schon nach dem Abschluss der ersten Schuljahre mit Fechten begonnen, in einer anderen Fechtschule zunächst. Ich hatte schon eine Menge Vorerfahrung."

*

Seitdem ich Mirco auf die Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- aufmerksam gemacht habe sind drei Erdjahre vergangen. Ich bin bei der letzten Aufstufung überraschend zum Okuden -Meister- ernannt worden. Heute ist wieder eine solche Aufstufungsfeier.

Wieder werden wir in den Saal in der fünften Etage unserer Schule zusammengerufen. Seit der letzten Aufstufung vor einem halben Erdjahr sitze ich mit den anderen Meistern direkt den Chisei -Personen mit Geisteskraft- gegenüber. Sie haben diesen Titel nicht, weil sie sich für allein intelligent halten, sondern weil das Japanische auf diese Art ihre hervorgehobene Position kenntlich macht.

Hinter uns haben die Chuhden -Fortgeschrittenen- und die Shoden -Anfänger- Platz genommen. Nachdem wir alle sitzen, erhebt Master Yamamoto das Wort:

"Ich grüße euch, Mitglieder unseres Dojo -heiliger Ort, an dem Kampfkünste gelehrt werden, auch: Stätte der Meditation-! Heute ist wieder ein wichtiger Tag gekommen. Einige von euch haben durch Ehrgeiz und Durchhaltevermögen einen höheren Grad erreicht. Sie haben gezeigt, dass sie Respekt, Achtsamkeit und Ehrenhaftigkeit beherzigen. Dies wollen wir heute würdigen."

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