Dienstag, 16. August 2022
Aufbruch ins All -26
Wenige Tage nachdem mich Okuden -Meister- Clark McGiven in meinem Zimmer besucht hat, lese ich im Internet auf meinem Tablet meinen Namen in der Aufstellung des Fechtturniers von Ishtar City in der diesjährigen Saison. Okuden Clark hat mich wohl dem Chisei gemeldet, der unseren Kader für das Turnier zusammenstellt. Endlich hat das Training ein Ende und ich kann zeigen, was in mir steckt.

So bin ich leicht euphorisch, als Meister Clark mich in der Mensa auffordert mit ihm zu kommen. Er bemerkt meinen Zustand und redet mir ins Gewissen. Ich soll nicht die Bodenhaftung verlieren, sondern rational in das Turnier gehen. Auf dem Weg durch die Gänge von Ishtar City zum Turnierraum redet er beruhigend auf mich ein. Schließlich erreichen wir die Umkleidekabinen.

Dort ziehe ich meine weiße Turnierkleidung an. Mein Meister kleidet sich in die weiße Sekundanten-Kleidung. Danach setzen wir uns zum Meditieren auf die Sitzbank. Meine Störgedanken sind durch meine Aufregung bedingt sehr stark. Es dauert daher etwas, bis ich zu Reiki durchgedrungen bin. Ich lasse meine Aufmerksamkeit wandern und beobachte, was sich in den anderen Umkleidekabinen tut.

Irgendwann holt mich Master Clark aus der meditativen Betrachtung und sagt:

"Florian! Du bist gleich dran."

Bei diesem ersten Wettkampf geht es noch um nichts. Die Gegner sind nach dem Zufallsprinzip ausgelost worden. Die Gewinner dieses Wettkampfes werden später in eine Gruppe zusammengefasst und genauso verfährt man mit den Verlierern. Beim nächsten Wettkampf lässt man Fechter mit der gleichen Punktzahl aus jeder Gruppe gegeneinander antreten, um eine Abstufung vornehmen zu können. Dann hat man eine erste Reihenfolge in den beiden Gruppen.

Da das Fechten in Ishtar City ein Volkssport ist, gibt es entsprechend viele Anmeldungen. Deshalb wird vom nächsten Wettkampftag das Knock-out-System angewandt: Der Unterlegene scheidet aus. Als Anerkennung werden ihm seine nächsten zehn Trainingsstunden in seinem Heimatverein von der Turnierleitung bezahlt. So hat sich nach dem zweiten Wettkampftag die Anzahl der teilnehmenden Sportler halbiert. An jedem weiteren Wettkampftag haben wir es so mit weniger Gegnern zu tun.

Am Morgen jeden Kampftages holt mich Okuden -Meister- Clark McGiven ab und macht den Weg zum Turnierraum mit mir gemeinsam. Wir rezitieren dabei unsere Turnierregeln:

"Sei frei von Zorn!" gibt er vor. Ich wiederhole den Merksatz.

"Sei frei von Sorgen!" sagt er darauf. Auch hier wiederhole ich ihn.

"Sei fair zu deinen Mitkämpfern!" spricht er weiter.

"Sei fair zu deinen Mitkämpfern!" antworte ich ihm.

"Sei dankbar für das Resultat deiner Leistung!"

Auch diesen Merksatz wiederhole ich und horche dabei in mich hinein.

Da ich mich mit Reiki -Lebensenergie, die alles durchdringt- verbinde, bevor ich auf den Platz hinaustrete, bin ich über die persönliche Verfassung meines jeweiligen Gegners informiert. Auch haben wir seine vergangenen Wettkämpfe verfolgt und analysiert.

Das Turnier läuft nun schon mehr als eine Woche. Ich habe es tatsächlich in die Spitze geschafft. Mein Gegner im Kampf um den ersten Platz ist sehr stark. Während der vergangenen Wettkampftage habe ich festgestellt, dass auch er intuitiv die richtige Reaktion im Fechtkampf zeigt.

Master Clark erklärt mir vor Kampfbeginn, dass er sich die Fechtschule des Gegners genauer angesehen hat. Dort gehören zum Fechttraining auch ein Meditationstraining und ein Kampfsport. Der Leiter der Schule, ein Senhor Gabriel da Silva, stammt aus der irdischen Region Brasilien. Seine Philosophie, die er in der Schule verbreitet ist sehr aggressiv. Er sagt, dass die Schwachen ihr Schicksal verdienen. Statt ihnen zu helfen, soll man sich um die eigene Stärke kümmern, soll man egoistisch vorgehen.

Ich kräusele die Stirn und entgegne:
"Bisher hat er sich in den Kämpfen fair gezeigt, zwar kompromisslos nach vorne gerichtet, aber fair!"

Okuden -Meister- Clark McGiven nickt.

"Ja, so kann man seinen Kampfstil beschreiben! Aber er ist hier ja auch an ein Regelwerk gebunden. Verletzt er sie, riskiert er den Ausschluss vom Turnier. Wenn du ihm außerhalb des Turniers begegnest sieht es anders aus! Trotzdem, ich werde über dich wachen. Mache dir also keine Sorgen, wenn mir gleich vor Beginn des Turniers schlecht wird und ich mich in den Umkleideraum zurückziehe. Dort werde ich mich in Meditation versenken und auf dich achten."

"Okay," antworte ich und lächele.

Als wir dran sind und den Umkleideraum verlassen, klappt Master Clark neben dem 14 Meter langen Blanche -Wettkampffeld- theatralisch zusammen. Ich beuge mich zu ihm herunter, aber da ist schon der Sanitäter heran.

Master Clark erwacht, schüttelt schwach den Kopf und lässt sich vom Sanitäter aufhelfen. Die Beiden verlassen daraufhin den Turnierraum. Der Sanitäter kommt kurz darauf alleine zurück und nickt dem Kampfrichter zu.

Der Mann schaut mich und meinen Gegner kurz an. Wir gehen in die Ausgangsposition, der Oberarm mit der Turnierwaffe ist leicht abgewinkelt, der Unterarm parallel zum Boden. Die Knie sind etwas gebeugt. Nun sagt der Kampfrichter kurz hintereinander:

"Stellung! -En garde-!"

Dabei breitet er die Arme aus.

"Fertig? -Prêtes-?... Los! -Allez!-"

Er hat die Arme wieder gesenkt und tritt nun einen Schritt zurück. Ich bin voll konzentriert. Der ganze Körper ist Trefffläche. Mein Gegner stürmt einen Herzschlag nach dem Kommando 'Allez' vor und verringert so die Mensur -Abstand zum Gegner- rapide. Ich pariere seine Flèche -Pfeil-, einen besonders schnell vorgetragenen Angriff, für den er sich mit gestreckt gehaltenem Arm blitzartig nach vorn 'wirft'.

Ich laufe ihm entgegen und führe eine Cavation durch, mit der ich seine Waffe umgehe und führe eine Riposte durch, den unmittelbaren Gegenangriff. Über eine Finte erreiche ich, dass er seine Abwehr leicht öffnet und ich meinen ersten Treffer landen kann.
"Touché -Berührung-," ruft nun der Kampfrichter aus.

Mein Gegner führt sogleich eine Battuta -Klingenschlag- durch, um nun seinerseits einen Treffer landen zu können. Dafür zeige ich nun den Filo -Gleitstoß- entlang der gegnerischen Klinge, um in seine Blöße hineinzustoßen.

Wieder ruft der Kampfrichter: "Touché -Berührung-!"
Mein Gegner bestürmt mich nun zunehmend aggressiver, nachdem er mich bisher anscheinend getestet hat. Ich bleibe dagegen konzentriert und ruhig, verwende mein Fechtkönnen und vertraue auf Reiki, das mich seine Aktionen vorausahnen lässt.

Die Dauer des Ausscheidungswettkampfes erscheint mir beinahe wie eine kleine Ewigkeit, da ich das Zeitgefühl verliere. Ich bin voll auf meinen Gegner konzentriert, der auch ein paar Treffer erzielen kann. Als der fünfzehnte Treffer registriert wird, ist der Kampf beendet und ich werde als Sieger des Turniers ausgerufen.

Ich lasse die Ehrung über mich ergehen, als gelte sie nicht mir, sondern einem Alter Ego. Es dauert eine ganze Zeit bis ich realisiert habe, dass ich das Turnier gewonnen habe. Das Blitzlichtgewitter der Fotografen bringt mich in die Wirklichkeit zurück. Einige Reporter halten mir ihre Aufnahmegeräte hin. Ich soll etwas sagen...

"Ich bin gerade der glücklichste Mensch von Ishtar City, glaube ich," spreche ich in ihre Mikrofone, dann gehe ich in meine Umkleidekabine.

Mein Meister Clark McGiven erhebt sich gerade von der Bank und umarmt mich, über das ganze Gesicht lachend. Mit einem Stoß meiner Ferse befördere ich die Tür in den Rahmen. Ein Reporter ist ihr wohl zu nahe gekommen, denn ich höre ein "Ahh!" als die Tür zufällt.

"Ist alles klar gewesen, während des Wettkampfes?" frage ich nun.

Sein Gesicht wird ernst. Er antwortet kurz angebunden: "Später!"

Ich ziehe mich also um, nehme den goldfarbenen Kranz ab, den man mir draußen zur Ehrung um den Hals gehängt hat und verstaue ihn und den Scheck in meiner Sporttasche. Danach verlassen wir das Turniergelände und gehen zügig durch die Gänge auf unsere Fechtschule zu. Trotzdem werden wir unterwegs immer wieder angehalten und ich muss Glückwünsche über mich ergehen lassen.

In der Mensa unserer Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- folgt eine weitere Feier. Am Sonntag danach habe ich einen Tag frei, um meine Eltern zu besuchen.

Nach dem Frühstück gehe ich den Weg, den ich schon lange nicht mehr gegangen bin. Einerseits fühle ich Freude. Dann ist da aber auch eine gewisse Skepsis. Was werden sie dazu sagen, warum ich mich solange nicht gemeldet habe?

Nach einer halben Stunde Fußweg stehe ich vor der Tür der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin. Hier bin ich zuhause gewesen. Hier habe ich soviel Zuneigung erfahren, wie man es nur in seinem Zuhause fühlen kann. Von hier habe ich geträumt, wenn ich mich in meinem Zimmer in der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- einmal einsam gefühlt habe. Dennoch, meine Mitschüler und die Ausbilder möchte ich nicht mehr missen. Sie sind nun meine neue Familie. Trotzdem freue ich mich auf das Gesicht, das Mama gleich machen wird.

An der Tür angekommen, betätige ich den Signalton. Schritte nähern sich innen der Tür. Sicher bin ich jetzt im Bild der Überwachungskamera zu sehen. Kurz darauf öffnet sich die Tür und Mama breitet lächelnd die Arme aus.

"Florian! Oh, wie wundervoll, dich zu sehen! Komm herein!" ruft sie aus.

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