Mittwoch, 21. September 2022
Aufbruch ins All -38
Der Mann begleitet uns zu der U-Bahn-Station, über die wir in ihr Institut gekommen sind und übergibt uns an einen jüngeren Mann, der uns weiterhin führen soll. Vor uns am Bahnsteig steht genau solch ein Triebwagen, wie wir ihn schon kennen.

Unterwegs frage ich den jungen Mann:
"Mister Carlson, wie oft hatten Sie in Ihrer Zeit schon jemand in Quarantäne?"

Er lächelt mich an und sagt:
"Unser Institut ?Sanitarium Valetudinis Curandae? unterhält die Quarantäne-Station nur nebenbei, sonst wären wir tatsächlich zur Untätigkeit verdammt. Aber wir sind forschend tätig im Bereich der Marsmikroben und möglicher Einschleppungen von außen."

"Ah, darum haben Sie uns so gründlich untersucht und werden nun sicher die entnommenen Proben noch gründlicher analysieren."

Der junge Mann nickt und bestätigt:
"Das ist unser Job! Vor Ihnen ist ein Pilot der Space Ressource Corporation hier gelandet, den die Außencrew aus Raumnot gerettet hat."

"Mit der Außencrew meinen Sie die Leute, die uns in ihrem Rover hereingeholt haben?"

"Ja, das stimmt!" bestätigt der Mann.

"Ist der Pilot auf dem Mars abgestürzt?" frage ich interessiert.

"Nein, er konnte sich in den Orbiter retten und wurde dann von der Flugsicherung in Olympia 'heruntergesprochen', da er die alte Technik im Marslander nicht verstanden hat."

"Oh, okay," antworte ich ihm und frage: "Ist das schon lange her?"

Er schüttelt lächelnd den Kopf und antwortet:
"Nein, etwa vier Marsjahre erst."

"Ah, und was macht er jetzt?"

"Die Online-Zeitungen haben das Interesse an ihm verloren. Er ist wohl Marsianer geworden und hat geheiratet. Zuerst hat er in der wissenschaftlichen Abteilung im 'Amt' gearbeitet. Jetzt wird er eine Firma gegründet haben, die sich um wassersparende Badgestaltung kümmert."

"Oh," mache ich. "Und Sie bringen uns auch ins 'Amt'? Was kann ich mir darunter vorstellen?"

"Es ist das Präsidialamt," präzisiert er.

"Oh," mache ich noch einmal. "Ihr Präsidialamt unterhält auch eine wissenschaftliche Abteilung?"

"Ja, das ist richtig. Sie kennen unser politisches System ja noch nicht. Wir sind beruflich in verschiedenen Verbänden organisiert. In der Freizeit sind wir Mitglieder in verschiedenen Vereinen, die sich ebenso in Sportverbänden organisieren. Diese Verbände aus allen Lebensbereichen entsenden Mitglieder in einen Rat. Dieser Rat wählt einen Ministerpräsidenten und Minister, die den Ministerien vorstehen. Der Ministerpräsident koordiniert die Arbeit der Ministerien. Daneben gibt es einen Präsidenten des Mars, der von allen Marsianern direkt gewählt wird. Er darf keinem Verband angehören, damit er unabhängig entscheiden kann. An ihn darf jeder Marsianer Petitionen richten. Das Petitionsamt sammelt die Anträge und sortiert sie nach Themenbereichen. Der Präsident hat so viele Sekretäre, wie es Ministerien gibt. Die Sekretäre bearbeiten nun die sortierten Eingaben und schmieden daraus Anträge, die der Präsident dem Rat zur Bearbeitung vorlegt. Der Rat darf die Anträge weder zurückweisen, noch inhaltlich verändern. Dann wird darüber abgestimmt. Um nun die Anträge bearbeiten zu können, bedienen sich die Sekretäre und der Präsident dem wissenschaftlichen Dienst des Amtes."

"Ah," mache ich.

Ich bin erfreut, eine Kurzfassung des politischen Systems auf dem Mars erhalten zu haben.

'Die Information kann mir sehr nützlich werden,' denke ich mir.

"Und was ist das jetzt für ein Treffen, zu dem Sie mich hinführen sollen?"

Der Mann schaut mich lächelnd an und erklärt:
"Zum einen wollen die Sekretäre und der Präsident etwas von der Venus und ihrer Organisation erfahren, denke ich mir. Zum anderen werden sie bestimmt gefragt, wie Sie sich ihre Zukunft vorstellen. Sie wollen sicher wieder zur Venus zurück und vom Ergebnis ihrer Kontaktaufnahme berichten? Oder wollen Sie Bürger des Mars werden? Für alle diese Fragen sind Sie im Amt in Olympia an der richtigen Adresse!"

"Ah, okay. Unser Ziel ist also die Hauptstadt des Mars, und der Name impliziert, dass sie sich im Olympus Mons befindet?"

"Ja, genauso ist es."

Ich bin gespannt, was die nächste Zukunft für uns bereithält.

*

Nach etwa drei Stunden Fahrt, in denen ich mir unter anderem die Technik der Rohrbahn erklären lasse, erreichen wir eine ebenso kleine Station in Olympia. Unser Begleiter erklärt uns hinsichtlich der Rohrbahn, dass sie selbständig eine Haltestelle anfährt und auch abfährt. Nach dem Eintritt schließt sich die Kabine und das Rohr hermetisch ab und ein Überdruck schiebt das Fahrzeug mit bis zu 500 Stundenkilometer vorwärts.

"Unser Rohrnetz," erklärt er weiter, "ist vom öffentlichen Netz getrennt. Dafür sind unsere Fahrzeuge auch deutlich kleiner."

An der Haltestelle in Olympia steigen wir aus und fahren von der Station mit einem Aufzug auf eine höhergelegene Ebene. Wir schauen uns hier neugierig um. Ich erkenne links in einer Raumecke ein Treppenhaus. Eine Treppe windet sich dort um einen anderen Aufzug. Rechter Hand befindet sich ein großzügiger Eingangsbereich mit vier Glastüren. Seitlich davon steht eine Sitzgruppe und an der gegenüberliegenden Wand sehe ich einen Tresen mit einer Dame dahinter.

Mein Blick wird jedoch von der Person gefesselt, die nun nähertritt. Sie ist genauso dunkelhäutig, wie alle Marsianer, denn die harte kosmische und Sonnenstrahlung auf dem Mars können Körper mit viel Melanin-Einlagerung in der Haut besser vertragen. Die um zwei Drittel geringere Schwerkraft des Mars hat aus den Marsianern schlanke großgewachsene Menschen gemacht. Ihre Kleidung ist farbenfroh, wie die der Einwohner des afrikanischen Kontinents auf der Erde. Sie trägt eine Kurzhaarfrisur aus kleinen Haarbüscheln mit Undercut und besitzt eine fast asiatisch anmutende Lidfalte.

Sie kommt freundlich lächelnd auf uns zu. Meine Betrachtung dauert nur einen Sekundenbruchteil, dann verneige ich mich höflich vor der Frau und sage:

"Hallo, oder wie man bei Ihnen zu sagen pflegt 'Sol'. Mein Name ist Florian Myers, Chisei Myers und das ist mein Assistent Mirco Myers. Sind Sie befugt, sich mit mir über interplanetare Themen zu unterhalten? Wohlgemerkt, nur unterhalten! Meine Seite will ausloten, ob es gemeinsame Themen gibt, über die man in Zukunft konkreter sprechen kann."

Sie neigt höflich ihren Kopf. Ihren Mund umspielt ein feines Lächeln, als sie mir antwortet:

"Sol, Mister Myers. Ich bin Okuhle Ndluvo, die Außenbeauftragte des Präsidenten. Folgen Sie mir bitte, Eure Excellenz."

Sie dreht sich zum Treppenhaus und geht auf den Aufzug zu. Wir folgen ihr dichtauf. Der Aufzug bringt uns in die dritte Etage. Dort führt uns Frau Ndluvo einen Gang entlang.

"Ich freue mich sehr, einen kompetenten Ansprechpartner zu bekommen," schmeichele ich. "Wie ich aus dem Geschichtsunterricht weiß, hat sich der Mars von der Mars Ressource Corporation vor langer Zeit losgesagt. Deren Nachfolger, die Space Ressource Corporation, macht sich nun auch auf der Venus breit. Das macht mir Sorge!"

Sie bleibt stehen und wendet sich mir zu. Ihre Miene zeigt leichte Verärgerung, die sie aber sogleich kaschiert.

"Was möchten Sie von uns? Dass wir Ihnen helfen?"

"Nein, nein!" antworte ich und lächele entschuldigend. "Ich wollte nur ein verbindendes Element aufzeigen, nichts weiter!"

"Okay," meint sie, etwas kühler als die Begrüßung vorhin.

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