Donnerstag, 12. Januar 2023
Aufbruch ins All -75
"Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass solch ein Archiv ein Gewinn für alle ist," meint Maître Myers.

Ich nicke und beschreibe nun unsere Gegenwart:
"In jüngster Zeit haben wir begonnen, unser Sonnensystem zu erkunden. Die Erkenntnisse erhalte ich über Funk, um sie im Archiv abzulegen. Die dazugehörigen Proben bringen unsere Leute zur Space Geological Corporation, wo man sie in speziellen hochreinen Labors noch näher untersucht. Die dafür nötigen Raumschiffe stellt uns die Lunar Ship Systems in Zusammenarbeit mit dem Yamamoto Design Collective und den Warp Research Laboratories zur Verfügung. Dazu dürfen unsere Expeditionen mit Prototypen fliegen, die von Zeit zu Zeit durchgecheckt werden. So fliegen unsere Männer einerseits immer die neueste Technik, während die Firma ihre Fertigung für die nächste Generation Raumschiffe optimieren kann. Das Yamamoto Design Collective entwickelt zurzeit außerdem auch noch eine Künstliche Intelligenz, die alle Systeme an Bord miteinander vernetzt und über eine Sprachsteuerung mit der Besatzung interagiert."

"Oh, das ist interessant," meldet sich Maître Myers wieder zu Wort. "Die KI fliegt das Raumschiff, ohne dass ein Pilot in der Kommandokanzel sitzt?"

"Ja," antworte ich. "Im neuesten Prototyp gibt es zwar noch eine Kommandokanzel, für den Fall, dass die künstliche Intelligenz einmal ausfällt. Aber grundsätzlich brauchen Sie nur noch Befehle erteilen, die das Raumschiff dann ausführt. Dazu brauchen sie noch nicht einmal in der Kommandokanzel zu sein. Die KI lernt sie kennen und reagiert selbst dann, wenn sie gerade auf der Toilette sitzen würden. Es ist vielleicht etwas weit hergeholt, aber vergleichen Sie den Prototyp mit einem lebenden Organismus, in dem die Raumfahrer wie Darmmikroben mitfliegen."

Bei letzterem Vergleich lachen beide Männer auf. Sie werden sich sicher unwohl fühlen, im Inneren eines Riesenroboters, ohne wirklich direkte Kontrolle über sein Flugverhalten. Aber auch ihre Reaktionen im Laufe des Fluges sind von Interesse für das Yamamoto Design Collective.

"Natürlich verkauft die Lunar Ship Systems auch Raumschiffe an jeden interessierten Käufer," erkläre ich nun. "Selbst die Space Ressource Corporation gehört zu ihren Kunden. Allerdings hält sich die Lunar Ship Systems dabei an den Stand der Technik ihrer Konkurrenten, dem wir durch die Warp Research Laboratories und das Yamamoto Design Collective um viele Jahrzehnte in der Entwicklung voraus sind."

"Ich dachte schon," meint Maître Myers.

Lächelnd den Kopf schüttelnd, antworte ich:
"Unser Prinzip ist die Gelassenheit. Jeder hat ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben. Natürlich kennen wir die Philosophie der Space Ressource Corporation. Daher erhalten sie nur Raumschiffe, die sie auch überall sonst kaufen können. Die neueste Technik halten wir ihnen vor!"

Maître Myers schaut verstohlen auf seine Armbanduhr. Ich verstehe den 'Wink mit dem Zaunpfahl', erhebe mich und sage lächelnd:

"Es ist heute schon ziemlich spät. Sie haben eine lange Reise hinter sich und ich habe Sie mit einer Menge Informationen versorgt. Schlafen Sie erst einmal ausgiebig, meine Herren! Gute Nacht!"

Sie verbeugen sich leicht und streben dem Ausgang des Archivs zu.

*

Nachdem wir das Archiv verlassen haben, fahren wir auf die Ebene, wo unsere Unterkünfte liegen. Vor unseren Zimmertüren verabschieden wir uns voneinander und gehen ins Bett. Ich, Florian, kann einfach nicht einschlafen. Die Informationen der Meisterin, obwohl sie nur Beispiele gebracht und die vergangenen 700 Jahre nicht voll vor uns ausgebreitet hat, sind doch etwas viel gewesen. Andererseits...

Dieses Negaigoto Nikki -'Tagebuch der Wünsche'- geht mir nicht aus dem Kopf. Also nehme ich mein Tablet und versuche mich ins Archiv einzuloggen. Nach einer verzwickten Sicherheitsabfrage klappt es. Ich stelle eine Frage an das System:

"Ist in den letzten 700 Jahren ein Chisei bei Erfüllung seines Auftrages ums Leben gekommen?"

Ich weiß auch nicht, warum ich dem Archiv ausgerechnet diese Frage stelle. Sicher ist es meinem bevorstehenden Auftrag geschuldet. Ich fühle ja selbst eine gewisse Unruhe in mir aufsteigen.

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