Samstag, 24. September 2022
Aufbruch ins All -39
Jetzt bleibt sie vor einer Tür stehen, öffnet sie und bittet uns einzutreten. Wir befinden uns in einem Konferenzraum. Neben Stühlen und Tischen befinden sich hier bepflanzte Kübel mit Tageslichtlampen darüber und imposante Quarzglas-Skulpturen, die unter den Lampen schimmern.

Wir werden an einen kleineren Tisch gebeten und eine Ordonanz tritt hinzu, um unsere Getränke-Wünsche zu erfragen.

"Eure Excellenz," beginnt Frau Ndluvo, als sich die Ordonanz wieder entfernt hat, "wenn es keine konkrete Hilfe gegen die SRC sein soll, was erwarten Sie sich dann von uns?"

"Darf ich dazu weit ausholen, Frau Ndluvo? Ich hoffe ich langweile Sie dadurch nicht zu sehr?"

Sie schüttelt kaum merklich den Kopf und macht eine sparsame Geste mit der Hand.

"Bitte, fahren Sie fort."

"Vor über 3000 Jahren hat Buddha seine Philosophie den Menschen verkündet, die sie hören wollten. Einige der Hindus sind ihm gefolgt. Daraus ist mittlerweile eine breite Bewegung geworden. Etwa 600 Jahre nach seinem Tod haben fehlgeleitete buddhistische Mönche eine völlig konträre Lehre verbreitet. Sie lehren kurzgefasst Egoismus und Habgier. Damals haben sie auf dem indischen Territorium zwei benachbarte Königreiche gegeneinandergehetzt, um davon zu profitieren. Sie sind besiegt worden und einige Mönche konnten fliehen.
Später gab es in der westlichen Welt Tendenzen zu Egoismus und Habgier, die aber nicht unbedingt mit den Geflüchteten in Verbindung gebracht werden müssen. Etwa tausend Jahre später begann der Kapitalismus mit dem Dreieckshandel über den Atlantik. Zuckerrohrfarmer verschifften ihr Produkt nach Europa. Davon wurden veredelte Produkte und Nahrungsmittel gekauft und nach Afrika gebracht. In Afrika wurden davon Arbeitskräfte für die Zuckerrohrfarmen gekauft und als Sklaven nach Amerika gebracht. Das Gesicht des Kapitalismus wandelte sich mit der Zeit zwar, wurde nach außen menschlicher, aber immer noch gilt derjenige am meisten, der reich und skrupellos ist, der habgierig und egoistisch auftritt.
Vor etwa 200 Jahren entwickelte wieder ein buddhistischer Mönch die Lehre vom Egoismus und der Habgier. Er gewann Schüler. Sein Kreis erweiterte sich in die westliche Hemisphäre hinein, wo er natürlich auf fruchtbaren Boden fiel. Die Führungsebene der heutigen Space Ressource Corporation ist dieser Irrlehre komplett verfallen.
Auf der Venus kontrolliert die Firma inzwischen den Handel mit Treibstoffen. Aber auch in das gesellschaftliche Leben dringt die SRC ein. Sie steht hinter mindestens einem Verein als Sponsor. Hier sehe ich ein Einfallstor in die marsianische Gesellschaft, wenn sie auf die Idee kommen sollten, sich mal wieder verstärkt um den Mars zu kümmern.
Solche Firmen wollen Macht um jeden Preis!"

"Hm, okay," entgegnet die Dame. "Sie haben also eine Aufgabe in ihrem eigenen Hinterhof zu lösen. Was macht nun der Mars für ihre Organisation so interessant, dass man Sie zu uns sendet, Excellenz?"

"Wir haben seit zehn Jahren auf der Venus ein Frühwarnsystem. Ich denke, ich kann mich mit Ihnen offen darüber unterhalten, da wir beide auf derselben Seite stehen, was die SRC betrifft.
Unsere Sportstars erhalten Sponsor-Verträge von den auf der Venus ansässigen Firmen. Sie bezahlen den Sportlern ihren Lebensunterhalt und die Trainingskosten. Dafür treten die Sportstars in kurzen Werbefilmchen auf und bewerben die Produkte ihrer Sponsoren. Wer sponsert, muss sich in der Verwaltung registrieren lassen. Wenn solch eine große Firma, wie die SRC, nicht registriert werden will, gründet sie Tochterfirmen oder übernimmt kleinere Firmen, die dann das Sponsoring übernehmen."

"Okay, ich sehe in ihren Ausführungen aber keinen Lösungsansatz für das Problem, Excellenz!" kontert Frau Ndluvo lächelnd.

Ich lächele freundlich zurück und antworte:
"Bisher habe ich über offen zutage tretendes geredet. Durch unser liberales Staatswesen sind uns die Hände gebunden, solange keine Straftat begangen wird.
Vor etwa zehn Jahren hat eine Handvoll Buddhisten auf der Venus eine Fechtschule gegründet. Dazu muss man sagen, Fechten ist in meiner Heimat Volkssport. Ein unbesiegter Fechter wird von der Bevölkerung verehrt. Außer ihr gibt es daher eine Menge anderer Fechtschulen, die einmal im Jahr Fechter aus ihren Reihen in ein Turnier schicken.
Man kann nun sehen, wie die Sportler kämpfen und daraus gewisse Schlüsse ziehen. Es gibt zwar Turnierregeln. Hält ein Sportler sich nicht daran und kämpft unfair, riskiert er den Ausschluss vom Turnier. Das kann auch ein Ausschluss über mehrere Jahre bedeuten.
Mir persönlich ist es passiert, dass der Zweitplatzierte, nachdem er den Turniersieg an mich abtreten musste, einige Wochen später zusammen mit einem bezahlten Komplizen ein Attentat auf mich verübt hat. Es ist ihm missglückt, wie sie sehen. Aber die Gegenseite hat sich geoffenbart, sich aus ihrer Deckung begeben."

"Das war sehr dumm von ihr!" entfährt es der mir gegenübersitzenden Dame.

Ich nicke lächelnd, meine aber:
"Die Gegenseite wusste nichts von unseren 'Antennen' und wir werden sie auch nicht preisgeben. Von daher mussten sie sich durch ihre Aktion quasi offenbaren, ohne es zu wissen."

"Was sind das für 'Antennen?" fragt Frau Ndluvo, neugierig geworden.

Ich lächele sie an und erkläre:
"Vergleichen Sie einmal gedanklich die buddhistische Lehre, die da sagt: Bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Sei gütig und friedfertig. Lüge niemals. Tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich, konzentriere dich, denke nach und meditiere.
Demgegenüber heißt es in der Irrlehre: Die Schwachen verdienen ihr Schicksal. Kümmere dich um deine Stärke, denn Stärke ist Macht. Lebe mit Leidenschaft, denn sie gibt dir Kraft. Mit der Kraft erringst du Siege. Lass dich vom Zorn leiten, denn Zorn macht dich stark. Durch Zorn geleitete Aggressivität ist unaufhaltsam. Bekämpfe deine Angst und frage deine Feinde, was sie als ihre Stärke betrachten, was deren größte Angst ist, was sie am Meisten schätzen. So wirst du wissen, wie du deine Feinde schlagen kannst. Frage sie dann, worum sie dich am Meisten bitten, so wirst du wissen, wie du sie auf ewig unterdrücken kannst."

Meine Gesprächspartnerin zeigt anfangs eher gelangweiltes Interesse. Als ich dann auf die Lehrsätze der Gegenseite zu sprechen komme und sie der Dame darlege, hängt sie mit erschrockener Miene an meinen Lippen.

"Woher kennen Sie die Irrlehre so genau?" fragt sie nun, etwas kurzatmig.

"Die Gründer unserer Fechtschule in Ishtar City sind vor zehn Jahren von der Erde her eingewandert. Sie haben die Gegenseite auf der Erde kennengelernt," antworte ich ihr wahrheitsgemäß.

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