Samstag, 19. August 2023
Neue Heimat L98 59b (65)
Als wir das ältere Paar erreicht haben, übernimmt seine Partnerin meine Vorstellung. Im Gegensatz zu den Kindern agieren die Erwachsenen fast emotionslos. Mister Albright erklärt mir die Stellung des älteren Paares bei den Indigenen:

"Der Mann ist der Häuptling der Ngachi und seine Frau ist die Schamanin. Meine Frau ist deren Tochter. Sie hat ihren Eltern gerade ihre Funktion in einfachen Worten erklärt, damit sie sich nicht darüber wundern, was Sie alles wissen wollen über das Leben der Ngachi."

"Okay," meine ich. "Wo kann ich denn hier bei Ihnen wohnen, meine Versuche machen und meine Erkenntnisse ungestört in ein Tablet sprechen?"

"Hm, das ist ein Problem. Ihre Arbeit mit dem Tablet können Sie gerne erledigen kurz bevor Sie schlafen. Dann haben Sie die nötige Ruhe. Die ganze Nacht würde ich an Ihrer Stelle nicht durcharbeiten, denn irgendwann müssen Sie auch einmal schlafen. Tagsüber werden Sie nicht die Ruhe dafür finden. Haben Sie einen Kommunikator, können Sie ihn als Arbeitsgerät einbinden: Sprechen Sie ruhig ungeordnet alles hinein, was Sie für beachtenswert halten. Dann müssen Sie nur später in ihrem Büro in Eseís alle Informationen sortieren. Also ist ihr Tablet hier eher unbrauchbar, würde ich sagen."

"Wie wohnen Sie denn hier?" frage ich nun.

Mich beschleicht eine leise Ahnung, und Mister Albright bestätigt meine Gedanken sogleich:

"Wir haben keine eigene Wohnung. Das heißt, wir wohnen alle zusammen hier. In aller Frühe gehen wir in den Wald. Dort wird gejagt und gefischt, Blätter und Früchte gepflückt, Wurzeln ausgegraben. Hier zurück wird alles gemeinschaftlich zubereitet und geteilt, so dass auch kleine Kinder und alte Leute etwas abbekommen. Niemand bleibt hungrig. Gebrauchsgegenstände werden hergestellt und abends geht man rechtschaffen müde ins Bett."

"Ah," meine ich. "Sie kennen also keine private Wohnung, wohin man sich zurückziehen kann. Wo schlafen Sie denn?"

Lächelnd antwortet Mister Albright:
"Der Begriff 'Bett' entstammt unserer Kultur. Den Ngachi ist das Möbel unbekannt. Sie steigen in den Baum. Die unteren Blätter sind die ältesten und damit die größten. Je höher Sie steigen, desto kleiner werden die Blätter. Tagsüber sind sie ausgerollt und wandeln Sonnenenergie in Chlorophyll um. Abends rollen sich die Blätter zusammen. Sie können sich nun in eins der Blätter hineinschieben und es als Hängematte verwenden. Die untersten und größten Blätter halten auch zwei Personen..."

"Oh," äußere ich mich erstaunt.

Dann fällt mir mein Jetpack ein. Wo soll ich den lassen, solange ich ihn nicht brauche?

"Was mache ich mit meinem Jetpack?"

Mister Albright runzelt die Stirn. Er meint:
"Solange Sie das Gerät mit sich herumtragen, wird es allenfalls berührt. Gestohlen wird ihnen das Gerät zwar nicht, wenn Sie es irgendwo ablegen. Aber die Ngachi, wie alle Indigenen, sind schon neugierig. Es könnte sein, dass sie an den Schaltern herum manipulieren. Dabei könnte dann natürlich ein Unfall passieren. Was machen wir da? Ich könnte den Jetpack nach Eseís zurückbringen, wenn es Ihnen recht ist."

Das sind schlechte Nachrichten!

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