Dienstag, 1. August 2023
Neue Heimat L98 59b (59)
Piongschi wurde von einem erneuten Weinkrampf geschüttelt. Um uns herum wird es still. Das Flüstern der Neugierigen hat aufgehört. Ich meine, auch Ischl, der Windgott, hält den Atem an. Schauer laufen mir den Rücken herunter und ich habe das Gefühl, mir wird gleichzeitig heiß und kalt. Erst allmählich dämmert mir, was Piongschis Bericht bedeutet.

Der Anführer der Jagdgruppe bringt seine Tochter zu ihrer Mutter. Ich bleibe an Ort und Stelle stehen. In mir reift ein Gedanke. Die Angreifer wissen nicht, wo unser Heimatbaum steht. Wenn sie unser Volk angreifen und unsere Frauen entführen wollen, müssen sie versuchen Ngamlorr auszuhorchen. Wie sie das machen, weiß ich nicht. Dass mein Mädchen einer Folterung nicht lange standhält, kann ich mir denken. Der Gedanke behagt mir nun ganz und gar nicht!

Ich gehe in den Wald und versuche, den Weg zu finden, den Piongschi in Panik gelaufen ist. Zwei Stunden später sehe ich zwei zusammengebundene Jonga auf dem Boden liegen. Sie gehörten wohl einem der Mädchen. Wahrscheinlich Pionga, denn ich kann keine Kampfspuren entdecken. Ngamlorr wird sich bestimmt gewehrt haben. Also suche ich im Zickzack weiter. Schließlich finde ich eine Stelle, an der die Vegetation ziemlich niedergetrampelt ist. Hier liegt ein geschossenes Jonga, von der Sorte, die in Rudeln nach Wurzeln suchen. Was ich sehe, macht mich stolz auf Ngamlorr. Von dieser Stelle aus gibt es eine breite Schneise im Unterholz, weg vom Heimatbaum. Dort werden sie mein Mädchen verschleppt haben. Dass sie die Smahh -Jagdbeute- liegengelassen haben, statt es als Nahrung mitzunehmen, lässt mich wütend auf sie werden, zusätzlich zu den Sorgen um mein Mädchen.

Wenn es ja nur um mein Mädchen gehen würde, wäre ich der Spur gefolgt. Vielleicht ist das aber das Kalkül der Entführer: Die Männer von ihrer Siedlung weglocken, um die Siedlung dann anzugreifen.

Ich hetze zum Heimatbaum zurück, informiere Ngachischi schnell über mein Vorhaben und bitte sie, mich zu unterstützen. Dann klettern wir den Heimatbaum hoch und ich puste im Wipfel des Baumes in die Flöte. Kurz darauf umkreist uns der Ckurrot und ich klettere mit Ngachischi in die äußeren Äste des Wipfels.

Als der Luftgeist langsam segelnd unter uns vorbeizieht, lasse ich mich fallen. Ich greife den Haltegriff und schwinge mich mit gegrätschten Beinen in den Sattel auf seinem Rücken. Danach stecke ich meine Beine in die Schlaufen und gebe Ngachischi ein Zeichen. Sie springt, als der Ckurrot wieder unter ihr vorbeisegelt. Ich warte, bis auch sie einen sicheren Sitz hat, dann lenke ich den Luftgeist vom Heimatbaum weg, um das Gebirge herum und über die weite Hochebene auf Eseís zu.

Als ich voraus die Plaza erkennen kann, gebe ich dem Luftgeist das Zeichen, dort zu landen. Wir springen ab und laufen auf das Rathaus zu. In den Augenwinkeln kann ich erkennen, dass die Menschen um uns herum in Panik in die Hauseingänge flüchten. Der Ckurrot wartet lieber in der Luft, als am Boden. Er wird also aufsteigen und über Eseís seine Kreise ziehen, bis ich wieder flöte.

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