Mittwoch, 24. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (36)
Danach überprüfe ich, an was es sich noch erinnern kann und frage sämtlich Begriffe von heute noch einmal ab. Inzwischen hat die Abenddämmerung eingesetzt und ich fordere 'Schimm' auf, mit mir in den Baum zu klettern. Bald erreichen wir die großen Blätter des Heimatbaumes, in die wir uns zum Schlafen hineinwickeln. Es dauert heute etwas, bis ich mich soweit beruhigt habe, dass ich einschlafen kann.

*

Nachdem im Baum alles ruhig scheint, schalte ich meinen Kommunikator wieder ein und spreche ins Mikro:

„Hallo, wer hört mich?“

Keine Antwort.

„Schlaft ihr alle?“

Immer noch keine Antwort. Also entscheide ich mich für eine Textnachricht nach Eseís:

"Hier spricht Jim Albright. Ich befinde mich bei den Ngachi, wie sie sich selbst nennen. Zur Kontaktaufnahme abkommandiert. Heute hat man damit begonnen, mir ihre Sprache beizubringen. Sie besteht in der Hauptsache aus Klick-, Zisch- und Fauchlauten, mit ein paar Vokalen durchsetzt.
Daneben können sie ihre Haut wie Chamäleons farblich verändern, zwischen Schwarz, über braun, grau, grün, gelb bis Orange. Manchmal sind auch regelrechte Farborgien möglich. Ich denke, damit drücken sie ihre Gefühle aus. Die Bedeutung meiner Mimik und vieler Gesten, mit denen wir unsere Gefühle ausdrücken, bleibt ihnen aber verborgen.
Möglicherweise hat es hier kein Artensterben gegeben, sondern die Echsen haben sich zu Säugetieren weiterentwickelt und sind intelligent geworden, wenn auch Jahrtausende unter unserem Entwicklungsstand.
Morgen geht mein Sprachunterricht weiter."

Danach schlafe ich ein.

Die Tage im Regenwald beginnen mit dem Sonnenaufgang. Meine Lehrerin befördert mich heute, an meinem zweiten Tag bei ihnen, energisch aus dem riesigen Blatt des Baumes, das sich in der Nacht zusammendreht und den Indigenen als Hängematte dient. Wahrscheinlich hätte sich das Blatt wenig später, wenn die Sonne wärmer strahlt, von selbst entfaltet und mich zu Boden gleiten lassen. Möglicherweise wäre das schmerzhaft geworden, denn der Abstand zum Waldboden beträgt sicher etwa fünf Meter.

Sie bringt mir einen Bogen und einige Pfeile. In vielleicht zwanzig Metern Entfernung hat sie die biegsamen Triebe des Unterholzes zusammengeflochten. Nun erklärt sie mir durch Vormachen den Gebrauch des Bogens, wie man die Sehne spannt und einen Pfeil auflegt. Sie zeigt mir, wie man zielt und danach soll ich auf das improvisierte Ziel schießen. Der Anführer des Jagdtrupps schaut zu und kommentiert meine Versuche.

*

Ich, die Tochter des Häuptlings der Ngachi, muss mich um diesen tölpelhaften Vchhtep kümmern, ihm beibringen zu sprechen und sich zu verteidigen. Als Tschecki -die Sonne- aufgeregt ihre Arme über den Horizont streckt, um höher klettern zu können, wecke ich 'Schimm', das Himmelswesen.

Nachdem es sich im nahen Cklugga -Wasserlauf- frisch gemacht hat, zeige ich ihm unser Frühstück. Wieder dauert es etwas, bis es mit dem Frühstück fertig ist. In der Zwischenzeit habe ich aus biegsamen Trieben ein Ziel geflochten. So habe auch ich früher den Gebrauch des Tchhe -Bogens- gelernt. Ich habe einen zweiten Bogen genommen und vier Chißou -Pfeile-. Danach habe ich auf das Ende des Frühstücks des Vchhtep gewartet, um ihn an der Hand zu nehmen und zu seinem Übungsplatz zu führen.

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